Vom scheiternden Leben

■ Union Carbide Productions kommen ins Huxley's Junior

Mitte der Achtziger war die Zeit der Schweden. Finsteres braute sich unter interessanten Wolken hoch im Norden zusammen. Jonas Almqvist, seines Zeichens Biker, Fanzineherausgeber und Throbbing-Gristle-Fan, war auf Stippvisite beim Oberguru Genesis P. Orridge in London gewesen und hatte anschließend The Leather Nun gegründet. Damit war der Hohe Norden auch für die britische Musikpresse salonfähig geworden.

In seinem Windschatten konnten einige seiner Landsleute ebenfalls kurzfristig zu Ruhm und Ehre kommen. The Watermelon Men tauchten da beispielsweise auf und, 1987, auf brutalste und kompromißloseste Weise Union Carbide Productions. Während alle andern Schwedenbands wieder in der Versenkung verschwunden sind, Leather Nun nur noch pompösen Bikerrock abliefern, sind UCP ihren Anfängen treu geblieben und touren nach wie vor fleißig durch Europas Clubland.

Ihr Erstling In the Air Tonight klang wie die Stooges zwanzig Jahre später. Zwei Gitarristen hatten ihre Verzerrer bis zum Anschlag aufgerissen und fabrizierten einen unglaublichen Lärm, gegen den Sänger Ebbot Lundberg bis zum Überschlag anschrie. Fünf Schweden liefen Amok gegen die Gleichgültigkeit einer Welt, in der alles bestens organisiert ist, Arbeit und Freizeit, die aber leider überhaupt keinen Spaß macht. »No Fun« hatte Iggy 1969 gestöhnt — trotz aller Flower-Power. »I just wanna have fun, 'cause time is always in the run«, schreit Ebbot 20 Jahre später und schlägt um sich.

Der Mann ist besessen von der Sehnsucht aller Teenager, die schon so oft und so schön besungen wurde. Nur klingt das bei ihm so, als sei er Mitte Zwanzig aus einem Alptraum erwacht, gehetzt von den Ansprüchen einer Money-Making-World, den Kopf voller Romantik, für die kein Platz eingeplant worden ist. Die Wut darüber wächst sich auf den beiden Nachfolge-LPs zu einem äußerst zeitgemäßen Zynismus aus: Financially Dissatisfied, Philosophically Trying nennen sie ihr zweites Werk, und mit dem dritten gehen sie noch einen Schritt weiter: From Influence to Ignorance. »Versuch, deine Angewohnheiten zu ändern«, singt Ebbot, »Änder deinen Stil, versuch, zur anderen Seite durchzubrechen« — zitiert wird eben gerne. »Du mußt einen neuen Platz finden, weil du nicht bleiben willst.« (Train Song).

Musikalisch sind UCP ruhiger geworden, aber nicht harmloser: auf Financially... gab es neben den in gewohnter Manier malträtierten E-Gitarren noch jede Menge akustische, eine Sitar, eine Violine und andere Spielereien. Diese zeitweise etwas beliebigen Soundcollagen haben sie auf From Influence... wesentlich gestrafft. Fast spartanisch und wieder etwas härter liefern sie den rhythmisch sehr verqueren Soundtrack zu Ebbot Lundbergs Geschichten vom scheiternden Leben. Thomas A. Vierich

Heute abend, 20.30 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108-114