So flach wie möglich

■ Medienpolitik — Ausstellung im Museum für Verbotene Kunst

Läßt man sein Auge über die bundesrepublikanische Medienlandschaft schweifen, wähnt man sich im tiefsten Ostfriesland: flach wie die Kuhweiden auf schwerem Marschboden dehnt sie sich endlos bis zum Horizont. Tiefpunkte allerdings feiert sie derzeit in den fünf neuen Ländern. Wer gehofft hatte, den Zeiten gleichgeschalteter Presse würde eine Blütezeit der zuvor geknebelten kritischen Stimmen folgen, sieht sich heute eines Besseren belehrt. Traurig, aber wahr: Das befreite Volk liest 'BZ‘ und 'Super Illu‘. Kaum vorstellbar, daß die realsozialistische Einheitssoße in Stumpfsinn und Systemkonformität noch zu übertreffen wäre, 'BZ‘ macht's möglich. Der Kapitalismus ist halt Sieger auf der ganzen Linie und hat auch in dieser Branche die Superlative für sich gepachtet.

Mit der Ausstellung Z.B. — so flach wie möglich im Museum für Verbotene Kunst dokumentiert eine Klasse der HdK die zunehmende Verflachung der Medien. Das Museum befindet sich mitten auf dem Todesstreifen im letzten noch existierenden Wachturm der unvergessenen Berliner Mauer. Der Turm war seinerzeit von der Wenderegierung an ehemalige DDR-Künstler verschenkt worden, die die traurige Laufbahn von Verbot, Knast und Ausweisung durchexerziert hatten. Selbigen dient das Gebäude als Plattform für Lesungen und kleinere Aufführungen. Für das Gelände zahlen die Turmfreunde in Eiche: ein Aufforstungsprogramm soll dem Todesstreifen neues Leben einhauchen und hat den emsigen Gärtnern und Instandsetzern bereits den Stadtbildpflegepreis 91 eingebracht. Des ungeachtet schwebt dies einzigartige Relikt deutsch-deutscher Geschichte derzeit in akuter Lebensgefahr. Beinah pünktlich zur Eröffnung der Ausstellung suchte letzte Woche eine Abordnung der Bundeswehr die Jungs vom Turm heim, um sie von der bevorstehenden Räumung zu unterrichten. Die Bundeswehr plant ein Verwaltungszentrum im Niemandsland. Eiliges Anklingeln beim Kulturamt Treptow konnte bislang das Schlimmste verhindern, aber die Bombe tickt...

Über Striche, Linien und Geraden zur Fläche - HdK Professor Riewe ließ sich schon einiges einfallen, bevor er seine Eleven an die zweite Dimension heranführte. Als es dann hieß: »so flach wie möglich«, wurde man sich schnell einig. Solch Maximum an Verflachung kann nur auf geistiger Ebene gewährleistet sein, die 'BZ‘ muß her. Die Ausgabe vom 8.2.92 wurde damit zum Thema einer Hausaufgabe gekürt. Aufmacher ist an diesem Tag ein verzweifelter Fahrschüler. Nachdem er zum achtenmal durch die Führerscheinprüfung sauste, setzte er seiner Versagerexistenz ein schauriges Ende: »Fahrschüler schlitzte sich auf«. Die 'BZ‘ dankt's ihm mit 10 cm hohen Blockbuchstaben, und er wird nicht der letzte bleiben, dem diese Zeitung zur Todesstunde zu unverhoffter Berühmtheit verhilft. Ein Schicksal, das hierzulande mitnichten den verkannten Genies vorbehalten ist. — Am oberen Rand der Titelseite prangt unter den Köpfen von Madonna, Jane Fonda und anderer weiblicher Stars die aufschlußreiche Schlagzeile: »Millionen Frauen in Angst«. Schuld daran sind die Silikonimplantate, mit denen diese Damen ihre Oberweite in neues Licht rückten. Das Busenthema ist dann auch Lieblingskind der überwiegend männlichen Aussteller. Wie das Geweih an der Wand des Forsthauses zieren ein Styroporbällchen, eine weiße Knetgummibrust nebst drei silikongefüllten Plastiktütchen in unterschiedlichen Stadien des Auslaufens das Turmgemäuer. All dies auf DIN-A3-Format engstmöglich aufgereiht — der Größe einer Titelseite eben. Darunter im 'BZ‘-Logostil die Buchstaben BH nebst Schlagzeile: »Stop. Schlitz Busen.«

Auf einem Bild sind die Köpfe der Starlets durch verschiedenfarbig colorierte Brüste ersetzt, drunter steht weiterhin der Steckbrief: Madonna, 33 Jahre... Brüste als Aushängeschilder für die Persönlichkeit. Eine Busenlandschaft aus rosa Eierkartons, über die Silikonschlieren triefen, ziert einen 'BZ‘-Verkaufskasten. Gegenüber zerhackt ein Messer die aufgeklebte Titelseite, Blut spritzt über den aufgeschlitzten Fahrschüler. Ein Gartenzwerg mit Messer im Bauch, eine nackte Barbie, ein abgestürzter Helikopter und unser Heiligstes, das Geld, fallen einer Druckwalze zum Opfer. Das Endprodukt ist besagte 'BZ‘ vom 8. Februar...

Eine Farbkopie zeigt einen Fotocomic. Eine Frau bläst einen großen Luftballon auf, der von Bild zu Bild wächst und besagte 'BZ‘-Titelseite als Aufdruck trägt, bis er zum Schluß wegfliegt. Die übriggebliebene Lady hat gut lachen: bei ihren Brüsten scheint es sich noch um die silikonfreie Variante zu handeln. — Ein großes Ölgemälde widmet sich der flachen 'BZ‘-Leserschaft. Dröge Köpfe, die dumpf in die Gegend stieren. Die Message der Studenten ist ziemlich klar: was den Frauen die drei Ks, sind der 'BZ‘ die vier Ts: Titten, Täter, Tod und Teufel. Dreist und bezeichnend ist, daß die 'BZ‘ von der vorhergegangenen HdK-internen Ausstellung Wind bekam und aus einer eindeutigen Anklage ein Lobgesang auf die eigenen Reihen formulierte: »Eine Muse namens BZ beflügelt HdK-Studenten«. So geschehen am 5. Februar dieses Jahres und nicht zuletzt Anlaß für die Künstler, ihre Bilder diesmal als politische Aktion zur Unterstützung des Turms zu präsentieren.

Als vor nunmehr bald einem Vierteljahrhundert die 'Bild‘-Zeitungen vor dem Springerhochhaus brannten, dürften die Studenten von heute in den Windeln gelegen haben, sofern sie bereits auf diesem Planeten weilten. Damals schwänzte man die Vorlesung, um die Medien als geistige Wegbereiter des Großkapitals zu demaskieren. Das im Turm gezeigte Werk hat demgegenüber etwas vom Geruch einer auftragsgemäß erledigten Hausaufgabe.

Nichtsdestotrotz: Kalle Winkler vom Museum für Verbotene Kunst fordert alle Kreuzberger und Treptower zum Nachdenken auf: Wollt ihr mit einem Verwaltungszentrum der Bundeswehr zwischen euren Bezirken leben? Falls nein, gilt es, den letzten Berliner Wachturm endlich unter Denkmalschutz zu stellen. Antje Braunschweig