Schüsse und Knüppel gegen Kenias Opposition

Polizei geht gegen einen Hungerstreik von Angehörigen politischer Gefangener in Nairobi vor/ Demonstranten solidarisieren sich/ „Die Gewalt nützt der Regierung“/ Allerdings ist auch die Opposition zerstritten  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

„Freiheit für alle politischen Gefangenen“: 18 Frauen, darunter Mütter, Ehefrauen und Schwestern von Häftlingen, hatten am letzten Freitag einen unbefristeten Hungerstreik begonnen. Sie wollten ihn erst beenden, wenn die Regierung ihre Forderung erfüllt hatte — die aber konnte den friedlichen Protest nicht ertragen. Brutal knüppelte die Polizei am Dienstag auf die Hungerstreikenden ein. Unter den Verletzten sind Frauen im Alter von weit über 70 Jahren. Die bekannte Umweltschützerin Wangari Maathai mußte vorübergehend ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Mit Schüssen, Knüppeln und Tränengas wurden Hunderte von Sympathisanten daran gehindert, sich den in einem Park sitzenden Hungerstreikenden zu nähern. Am späten Dienstag nachmittag setzten sich einige Demonstranten zur Wehr. Sie bewarfen Polizisten und vorbeifahrende Autos mit Steinen. Nach zehn Uhr abends erloschen alle Straßenlaternen; im Schutz der Dunkelheit wurden die Hungerstreikenden und ihre Freunde auf Polizeilastwagen abtransportiert.

Gestern war Nairobi weiter Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Regierungsgegnern. Vereinzelt kam es zu Plünderungen. Am Abend wollten die Hungerstreikenden ihre Aktion in einer Kirche fortsetzen.

Die Vorfälle sind kennzeichnend für die Situation in Kenia, drei Monate, nachdem die Regierung auf Druck westlicher Geldgeber die Bildung von Oppositionsparteien zuließ. Der Einparteienstaat ist offiziell in einen Mehrparteienstaat umgewandelt worden — Institutionen und politische Führung aber haben sich den neuen Verhältnissen noch nicht angepaßt. Vertreter der bisherigen Einheitspartei KANU vermischen öffentlich nach wie vor Staat und Partei — so wurde Lehrern kürzlich mitgeteilt, sie seien Angestellte der „KANU-Regierung“ und verpflichtet, diese zu unterstützen.

In verschiedenen Kleinstädten ist es in den letzten Tagen und Wochen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen KANU-Anhängern und Regierungsgegnern gekommen. Der 80jährige Oppositionsführer Oginga Odinga wurde am Wochenende im östliche Garissa mit Steinen beworfen, zwei Tage später wurde sein Sohn Raila bei den Demonstrationen in Nairobi niedergeknüppelt. Als am Sonntag die Oppositionspartei FORD in Kiambu nahe der Hauptstadt ein Parteibüro eröffnen wollte, wurden ihre Unterstützer von der Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken auseinandergetrieben.

„Es liegt im Interesse der Regierung, wenn es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt“, meint ein Volkswirt in Nairobi. „Schließlich hat sie immer behauptet, ein Mehrparteiensystem müsse zu Anarchie und Chaos führen“. Auch in jüngster Zeit hat Staatspräsident Daniel Arap Moi mehrfach erklärt, daß er in der Bildung von Oppositionsparteien eine Gefahr für die öffentliche Ordnung sieht. „Auf dem Lande scheint das Konzept auch zu funktionieren“, sagt ein Entwicklungshelfer, der im Norden Kenias arbeitet. „Bei uns in der Gegend sagen immer mehr Leute, die Verhältnisse hätten sich verschlechtert, seit es Oppositionsparteien gebe“. Das bezieht sich nicht nur auf die Gewalt, sondern vor allem auf die immer schlechtere Versorgungslage. Seit Wochen ist im ganzen Land die Milch knapp, Speiseöl und Zucker werden oft nur unter dem Ladentisch gehandelt. Harte Wirtschaftsauflagen von IWF und Weltbank werden nach Einschätzung von Beobachtern in der gesetzten Frist bis Jahresmitte kaum zu erfüllen sein.

Aber nicht nur die Regierung, auch die Opposition scheint Zeit zur Erarbeitung eines politischen Konzepts zu brauchen. Oppositionelle bekämpfen sich untereinander fast so heftig wie sie die Regierung angreifen. Bereits wenige Tage nach Einführung des Mehrparteiensystems hatte sich die Führung von FORD so zerstritten, daß eine Spaltung der Demokratiebwegung drohte. Noch hat die Opposition Zeit, sich zu formieren. Ein Termin für freie Wahlen steht noch nicht fest. Präsident Moi will sich nach eigenen Worten diese „letzte Waffe“ noch offenhalten.