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■ LokalterminExistenzgründerkneipe

Existenzgründerkneipe

Hatte man eine Zeitlang noch den Eindruck, daß sich ExistenzgründerInnen in erster Linie im Videothekenbusineß und mit Imbißwagen rumschlagen, so scheint es inzwischen auch vielversprechend, eine Kneipe aufzumachen. Das »Valentino«, »die Alternative im Nabel von Berlin«, scheint eine dieser Existenzgründerkneipen zu sein. Wie in den zwanzig anderen im Viertel sucht man auch in dieser nach Gästen; wie in den zwanzig anderen im Viertel hängt hier Kunst an den Wänden.

Die Musik nur ist anders: Wo andernorts der ehrliche Rock gepflegt wird, schwankt man hier zwischen Klassikrock und Bumsmusik. Am Rand steht eine aufblasbare Palme. Im hinteren Gaststättenbereich lockt ein Daddelautomat. Auf den hervorragenden Kartoffelsalat können die Kneipenmacher stolz sein.

Doch das Problem neuer Kneipen scheint ihr notgedrungener Mangel an Atmosphäre zu sein. Zwischen den sauberen Wänden ist noch nichts passiert, und das teilt sich auch den Gästen mit. Also gibt es zwei Möglichkeiten: entweder besucht man mit seinen FreundInnen die Kneipe gerade dann, wenn komplizierte Dinge zu regeln sind und streitet sich und verliebt sich aufs neue, mordet diesen oder jenen und läßt die noch erinnerungslosen Wände zuschauen, oder man sucht sich einen anderen Ort. Kurz schaut man »Bei Renate«, im »Schokoladen im Exil« vorbei, der ein Ackerstraßen-Schaufenster weiter als die zur Zeit im Renovierungsprozeß befindliche Lieblingskneipe liegt, oder man geht hungrig in das Kellerrestaurant im Brechthaus. Schwarzweiß-Fotografien von Brecht und seinen FreundInnen berichten aus alten Zeiten. Die Gerichte sind nach Originalrezepten der Weigel bereitet und heißen beispielsweise »Tafelspitz Versuch I« oder »Tafelspitz Versuch II«. Das Bier kommt aus der Bürgerbräubrauerei, die in erster Linie wegen der drei hübschen Bs hier Erwähnung findet. Recht warm ist es in der kleinen Gaststube. An einem Tisch sitzen Narva- KämpferInnen, die sich bemühen, möglichst viele Mitarbeiter »in Lohn und Brot und Licht zu halten«, an einem anderen Tisch trinken Schauspieler. Ein Westmime erzählt von den miesen Bedingungen des Tourneetheaters, die soweit gingen, daß beispielsweise zwei Schauspieler, die sich nicht ausstehen konnten, ein gemeinsames Zimmer zugewiesen bekommen und zudem noch in einem Bett hätten schlafen müssen. »Der eine war schon ziemlich fertig und zu faul, um rauszugehen zum Scheißen. Also kackte er in eine ausgefaltete Zeitung, faltete sie zusammen und tat das alles unters Bett.« Dem anderen gefiel das weniger, und er versuchte voller Wut den Packen aus dem Fenster zu schmeißen. »Das Paket landete am Fensterkreuz, und der eine Schauspieler wurde Synchronsprecher beim Fernsehen.« Solch' Geschichten erzählt man sich lachend, bis dann der Kellner kommt und seinen Taschenrechner auf den Tisch packt, »damit Sie mitrechnen können«. Jemand kichert ganz leise, und »am besten ist es natürlich nach wie vor in der Oranienbar, wo man sich schon gruselt vor großzügig eingeschenkten Zahnputzbechern voll Whisky.«

Kellerrestaurant Brechthaus; Mitte; Chausseestraße 125

Valentino; Auguststraße 84; Mitte; Mo.-Fr. 16-3 h; Sa. 14-3 h; So. 10-3 h.

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