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■ UNSER THEMALifestyle im Tourismus

Die Reiselust der Deutschen ist unverändert groß. „Sie ist“, so Otto Schneider vom Deutschen Reisebüro-Verband auf der Pressekonferenz zur Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB), „ein Barometer für die Stimmung der Bevölkerung, und das Barometer steht beständig hoch.“ Oh, glückliches Volk, dem die Welt offensteht. Auf der diesjährigen ITB präsentieren sich 156 Länder. Neu hinzugekommen sind die Kapverden, Laos und Sao Tomé & Principe.

Die Expansion, der gnadenlose Griff nach immer neuen Zielgebieten, ist nur eine Seite der positiven Geschäftsentwicklung in der Tourismusbranche, die andere Seite nennt sich Qualifizierung. Darunter fällt vom umweltfreundlichen Katalogpapier über angepaßtere Bauweise in den Hochburgen und den verfeinerten Küchen im Osten bis hin zum Ferienpaket mit Golf- und Segeltörn so ziemlich alles an Innovation im Tourismus. Und nach den goldenen Zeiten hemmungsloser Expansion ist die Tourismusbranche längst in der Phase der Produkt- Diversifizierung.

Ökologen, Soziologen, Psychologen feilen am Produkt Urlaub und Freizeit, das Marketingstrategen gewinnbringend verkaufen wollen. Und damit dieses Produkt massenhaft die individuellen Wünsche befriedigt, bedarf es vielfältiger Spielarten, Verfeinerungen und Ausprägungen und eben der Lebensstil-Diskussion. Damit auch noch der heimlichste Wunsch — von der Selbstfindung bis zum entfesselten Kontaktbedürfnis — im Urlaub das richtige Ambiente verpaßt bekommt. Das innerste wird nach außen gekehrt, zur optimalen Vermarktung. Die Fremdbestimmung im Alltag läßt man hinter sich, um in feinabgestimmten Urlaubskonzepten, passend zum jeweiligen Lifestyle-Typ, endlich sein wahres Ich und einen Schuß unverfälschte Sinnlichkeit zu finden. Ob in Freizeit-Centern, Ferienparks, beim luxuriösen Golfaufenthalt in Abu Dabi — Freizeitpädagogen lassen die geheimsten Wünsche Wirklichkeit werden, bevor man sich selbst darüber im klaren ist. Und die touristischen Hochglanzmagazine zeigen schon im Vorfeld des Urlaubs, wie und wo es sich zu träumen lohnt.

Die Lifestyle-Diskussion im Tourismus ist auch das Thema dieser ITB-Beilage. Lifestyle nicht im Sinne von Olivenöl statt Schweineschmalz, sondern als optimierte Wunscherfassungsmaschine. Das Endresultat dieser konsequenten Bedürfnisvermarktung sind totale Scheinwelten, die uns ganzheitlich befrieden wollen. Besinnungslos ins Vergnügen, wie unsere Autorin Christel Burghoff den Trend beschreibt. Dieses Vergnügen geht nur allzu häufig auf Kosten der Dritten Welt, beispielsweise in luxuriösen Golf&Country-Clubs, die dann auch noch als ökologisch-wertvoll verkauft werden. Anita Pleumarom zeigt, wie der Golftourismusboom die Verarmung und Naturzerstörung in der Dritten Welt beschleunigt. Karl Anton & Vororth machen einen ersten und letzten Versuch, die Gattung der Touristen als Beitrag zur Lifestyle-Forschung auszudifferenzieren, und Rüdiger Kind stieß auf der Suche nach dem besonderen Chic auf Heli-Skiing beim Russen. Waldefried H. Zucker-Stenger erläutert die Bedürfniserkundung aus der Sicht eines Marketingforschers. Alles, so sein Fazit, ist letztlich doch nicht erfaßbar. Der Industrie bleibt ein Trost: Packt man den Touristen nicht am Bedürfnis, kriegt man ihn bei günstiger Konjunktur mit dem Geldbeutel, dem Anreiz des Billigangebots.

Lifestyle, oder die Masse macht's.

Edith Kresta

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