Von den Schwierigkeiten der Annäherung zwischen Ost- und Westfeministinnen
: Kein einig Schwesternland

■ Eine Vereinigung nach "Männerart" zu westlichen Konditionen hat nicht stattgefunden, eine Zusammenarbeit der Frauenbewegungen in Ost...

Kein einig Schwesternland Eine Vereinigung nach „Männerart“ zu westlichen Konditionen hat nicht stattgefunden, eine Zusammenarbeit der Frauenbewegungen in Ost und West gibt es erst in Ansätzen. Nach der ersten Euphorie brachen die Differenzen zwischen den fremden Schwestern erst richtig auf. Die Auseinandersetzung damit hat begonnen. Trotz allmählicher Annäherung ist eine gemeinsame Bewegung (noch) nicht in Sicht.

Kürzlich luden Westberliner Frauen „feministische“ Frauenprojekte in Ostberlin zu einer Diskussionsrunde. Anlaß dafür waren Meinungsverschiedenheiten über die finanzielle Unterstützung eines Projektes im Ostteil der Stadt, „das Männer aus seiner Arbeit nicht ausschließt“, wie in der Einladung zu lesen war. Ein Umstand, der den Westberliner Fördererinnen nicht nur gegen den Strich, sprich das Selbstverständnis, sondern auch gegen ihre Satzung geht und nach Aussprache verlangte. Der Kreis, der da im Hinterzimmer einer Schöneberger Frauenkneipe zusammenkam, war nicht groß: fünf Ostfrauen und vielleicht doppelt so viele Westfrauen. Letztere redeten viel über Notwendigkeit und Anspruch auf männerfreie Frauenräume.

Eine Mitarbeiterin eines Ostberliner Frauenzentrums, das Männern Zugang zur hauseigenen „Spielothek“ gewährt, sprach von einem „anderen Selbstverständnis“ und verteidigte ihr Projekt damit, daß „wir eben noch nicht soweit sind wie ihr.“ Kurz: Frau wurde sich nicht einig, wie denn feministisch korrekt Umgang mit Männern zu pflegen sei, aber wohl darüber, „daß wir zwar die gleiche Sprache sprechen, aber oft nicht das gleiche meinen“ und daß solche Verständigungsgespräche viel häufiger geführt werden müßten. Denn „das wird echt spannend, wenn ihr erst einmal wißt, was wir meinen, und wir, was ihr meint“, wie eine Westfrau resümierte. Gewiß — aber bis dahin werden solche Begegnungen der ost-west-deutschen Art innerhalb der „Frauenszene“ wohl an der Tagesordnung bleiben. Die „Männerfrage“ ist dabei ein besonders heikler Punkt, der immer wieder zu Mißstimmigkeiten führt, aber beileibe nicht der einzige.

Mehr als zwei Jahre nach Mauerfall und einem Jahr einig Vaterland sind von der Offenheit und dem Interesse, ja der Euphorie, mit der Feministinnen und frauenpolitisch engagierte Fauen aus Ost und West im Herbst und Winter 89/90 aufeinander zugegangen sind, kaum mehr etwas zu spüren. Beide Seiten sind wieder auf Distanz gegangen, die Kommunikation ist gestört, die Zusammenarbeit schwierig. Ost- und Westfrauen bestätigen sich, daß sie schwer miteinander können, und erneuern immer wieder ihre (Vor)Urteile über einander: arrogante, besserwisserische, kinderfeindliche, dogmatische und intolerante Männerfeindinnen kontra männerfixierte, angepaßte, biedere Muttis. Westfeministinnen fürchten, daß 20 Jahre Frauenbewegung für die Katz waren, Ostfeministinnen scheint aus heutiger Warte die DDR ein verlorenes feministisches Paradies. Kein einig Schwesternland also, obwohl für Frauenrechte engagierte Frauen auf beiden Seiten immer wieder die Notwendigkeit einer starken und gemeinsamen Bewegung beschwören. Ist ihnen doch allen klar, daß darin die einzige Möglichkeit liegt, aus der Verliererinnenposition herauszukommen, in die die Vereinigung die ostdeutschen Frauen — aber eben nicht nur sie — gebracht hat. Doch das mit den objektiven Notwendigkeiten oder Interessen hat bekanntlich in der Historie noch nie geklappt, wenn die entsprechenden Subjekte nicht mitmachten. Denn eine Vereinigung, gar eine zu ausschließlich westlichen Konditionen, hatte in frauenbewegten Kreisen keine gewollt. Die ökonomischen und sozialpolitischen Folgen eines solchen Unternehmens waren von Anbeginn deutlich abzusehen und haben sich bekanntlich auch prompt erfüllt.

Die Vorhersagen der psychologischen Folgen waren vergleichsweise zurückhaltend. Nichtsdestotrotz schlagen sie jetzt voll zu Buche: die Vereinigung hat zu einem starken deutsch-deutschen Abwehrvorgang geführt, der offensichtlich auch zwischen gleichheits- und schwesterlichkeitsbeseelten Feministinnen in West und Ost eine gleichwertige Beziehung verhindert, statt dessen „Blockdenken“, Ablehnung und Konkurrenz fördert.

Wenn wundert's: während die einen die jetzt allgemeingültigen Geschäftsbedingungen bereits kennen, wird von den anderen erwartet, daß sie sich diese gründlich und schnell aneignen. Ostfrauen fehlt aber für die Spielregeln, die sie lernen — und akzeptieren — sollen, nicht nur die Erfahrungs- und lebensweltliche Basis, viele haben schlicht keine Lust auf diese Radikalkur in Sachen Identitäts-shaping und Life-styling.

Nicht von ungefähr beschreiben sich Ostfeministinnen in Gesprächen, Veranstaltungen, Selbstzeugnissen oft als „Kolonialisierte“, „Fremde“, beschreiben ihr Lebensgefühl als „Exil ohne Rückkehr“ und beklagen den Verlust ihrer „DDR-Identität“. Töne, wie sie — ähnlich — in den letzten Jahren von Seiten „schwarzer“ Frauen (Immigrantinnen, flüchtende, jüdische, afro-deutsche Frauen) lauter und selbst-bewußter gegenüber dem „weißen Feminismus“ angeschlagen worden sind. Auch Westfeministinnen, wie etwa Dagmar Schultz vom Orlanda Frauenverlag, die für Rassismus auch innerhalb der Frauenbewegung sensibilisiert sind, ist längst aufgefallen, daß Frauen aus der ehemaligen DDR „mit einer ähnlichen Arroganz behandelt werden wie Immigrantinnen“.

Der Niedergang des Realsozialismus, das derzeit weltweite Bekenntnis zur kapitalistischen Klassengesellschaft, sprich: sozialen Marktwirtschaft, als höchste Form der Zivilisation, wird auch die „Frauenfrage“ in einem noch nicht absehbaren Maße verändern — und voraussichtlich nicht zu unserem Vorteil. Wir werden um eine kritische Revision „unseres“ Feminismus nicht länger herumkommen, die Fragen nach Klassen-, Rassen-, kulturellen Differenzen stellen sich neu. Auf deutsch- deutsch gesprochen heißt das: Es reicht nicht aus, daß die einen erkennen, daß Erwerbstätigkeit, Kindergärten und Fristenregelung per se noch keine Selbstbestimmung ist, und die anderen kapieren, daß ihre gehegten und gepflegten männerfreien Arbeits- und Lebensnischen an den Machtverhältnissen nicht einmal kratzen. Aber es wäre ein Anfang für eine gemeinsame Zukunft — immerhin.

Natürlich ist es unbequem und mühsam, darüber nachzudenken und zu streiten, was unsere jeweils voreinander verteidigten „Identitäten“ tatsächlich ausmacht und unterscheidet, wie sich vierzig Jahre sehr unterschiedliche Geschichte in DDR und BRD auf unser Sein und Bewußtsein ausgewirkt haben und wo sich unsere Probleme miteinander aus Vorurteilen, Ressentiments, Ignoranz und Konkurrenz speisen. Wir müßten dabei nämlich über unseren eigenen Schatten springen und womöglich unsere eigene Borniertheit erkennen.

P.S.: Kürzlich hat mich meine Ostberliner Partnerin versetzt, mit der ich just zum Thema „Fremde Schwestern: Die Differenzen zwischen Feministinnen und frauenpolitisch engagierte Frauen in Ost- und Westdeutschland“ ein sozialwissenschaftliches Forschungsprojekt planen wollte. Die Projektfrau meiner Träume aber sagte ab. Das Thema gefalle ihr schon und es sei wichtig und interessant, sie habe aber einfach im Moment keine Lust, sich auch mit Westfrauen zu beschäftigen, lieber wolle sie sich jetzt auf Ostfrauen konzentrieren — mit Ostfrauen. Ulrike Helwerth

Austausch, nein, besser Kontakte, zwischen Feministinnen, Frauen in Ost und West gab es immer, schon zu Mauerzeiten, nach ihrem Fall erst recht. Oder war nach dem kurzen, heftigen Aufeinanderzurennen nicht doch erst mal ein Innehalten? Sooo sind die also?!

Das Erschrecken war auf beiden Seiten. Westfrauen erlebten wir als belehrend. Sie trugen ständig ihre zwanzig Jahre Frauenbewegung vor sich her. Wir Ostfrauen scheinen ihnen in feministischer Hinsicht zu sehr einem entwicklungspolitischen Neuland entstiegen. Beides sind Pauschal(vor)urteile, die alles äußern, aber nichts sagen. Sicher gibt es so manche, die sich in der westdeutschen Frauenbewegung zwanzig Jahre ihre Seele wundgerieben haben und immer noch dabei sind. Doch ein Großteil hat wohl mehr die Erfahrung der älteren Schwestern übernommen und die Anregung aus Übersee genossen. Wir hatten und haben in Ost und West verschiedene Anschauungen von Feminismus, von Fraueninteressen, Bewegungsmöglichkeiten und Notwendigkeiten. Doch nicht sauber getrennt nach Ost und West. Feministinnen und andere frauenbewegte Frauen aus der DDR verstehen das Entsetzen der Frauen der Westberliner Alternativen Liste, wenn politisch engagierte Frauen aus dem Osten Deutschlands äußern, daß sie Quotierung ablehnen, keine „Quotilden“ sein wollen. Doch noch einmal zur Verständigung: Frauen im Osten, die sich in Politik einmischen, sich für Frauenbelange einsetzen, sind nicht alle Feministinnen und wollen sich zum Teil auch gar nicht so nennen lassen. Selbst in unserem eigenen, im Unabhängigen Frauenverband, der feministische Positionen klar vertritt, verstehen sich nicht alle Frauen als Feministinnen, aber sie setzen sich ein für Frauen.

Dies ist vielleicht ein wesentlicher Unterschied zwischen Frauenbewegung Ost und West. Wir haben in der DDR, unter Verhältnissen, die uns einengten und in Spur hielten, gelernt, trotz unterschiedlicher Denkansätze miteinander umzugehen, zu diskutieren und zu handeln. Auch bei den Frauen und den Bürgerbewegten ist der zwangsläufige Zusammenhalt jetzt aufgebrochen, treten Differenzen deutlicher zutage, beginnen Abgrenzungen. Doch die Erfahrungen des Miteinanders haben viele von uns verinnerlicht, wollen sich derer nicht als Museumsstücke erinnern, sondern sie weiterleben, auch mit Frauen aus dem Westen.

Wir erinnern uns noch an unser Erschrecken, als wir auf dem Ost-West-Frauenkongreß im Mai 1990 erleben mußten, wie West-Feministinnen ihre Differenzen untereinander austrugen und ein wirklicher Austausch, auch zwischen Ost und West, nicht möglich schien. Statt dessen erfolgten Belehrungen, das unbedingte Durchdrücken von gruppenegoistischen Anschauungen. So hatten wir uns den Dialog von Ost und West nicht vorgestellt. Bei vielen sank die Bereitschaft zum Ost-West- Austausch auf ein Minimum, die Neugier war verschüttet, vorhandene Kontakte verkümmerten. Die wenigen Ausnahmen veränderten das Bild nicht. Diese Erfahrung beschrieb auch manche Westfrau. Doch ganz riß der Faden nicht ab. Schon die Zwänge der Vereinigung, der Wunsch, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen — nicht zuletzt bei der Finanzierung der Frauenprojekte in Ost- und West-Berlin —, die gemeinsame Arbeit in der Fraktion Bündnis 90/Grüne (AL)/UFV in Berlin, die Öffnung des UFV nach Westen und der langsame Zusammenschluß der Grünen mit dem Bündnis 90 ließen Wunsch und Bedürfnis nach Gespräch wieder wachsen.

Oft wird allseits die frohe Hoffnung artikuliert, daß wir Frauen aus Ost und West unsere Verschiedenheit „produktiv“ machen können, daß aus ihr wirklich neues erwachsen kann. Gibt es diese Chance wirklich oder ist die Perspektive der Frauenbewegung ein Ost/West-Sektierertum? Nach dem Motto, was nicht zusammen wuchs, muß und kann auch nicht zusammenwachsen? Doch, es gibt sie, diese Chance, weil die Frauenbewegung sich in Ost und West nicht nach „Männerart“ vereinigt hat, so wie durchgängig alle Parteien, Gewerkschaften, Vereine, sondern sich über konkrete Sacharbeit einander annähert. Die Unterschiede in den Auffassungen, die aus einer langjährigen, grundsätzlich verschiedenen Sozialisation resultieren, geben die Chance, die jeweils eigenen, festgefahrenen Positionen zu hinterfragen. Ein immer wieder beliebter Diskussionspunkt zwischen Ost und West ist beispielsweise die Frage der Ausgrenzung oder Einbindung von Männern.

Für die Auseinandersetzung mit den Unterschieden müssen die Voraussetzungen geschaffen, muß die Kommunikation organisiert werden. Gemeinsame Sichtweisen können nicht erzwungen werden. Wir müssen die Lebensgeschichte der fremden, unbekannten Schwester wirklich ernstnehmen, akzeptieren, daß wir Individuen mit konkreten, ganz eigenen Erfahrungen sind.

„Gelernte“ DDR-Frauen haben sich das Maß an Gleichberechtigung, das sie in diesem ehemaligen Land hatten, nicht erkämpft, aber sie haben es gelebt, wenn auch per gesetzlicher Verordnung. Kritik an männlicher Dominanz erfolgte in der DDR zumeist, in der weit überwiegenden Zahl, aus instinktivem Unrechtsbewußtsein, ohne Herrschaftskritik, ohne die Erkennnis, daß der sogenannte real existierende Sozialismus patriarchal strukturiert war. Genauso patriarchal strukturiert, wenn auch mit anderem Erscheinungsbild, ist der mit dem Etikett „soziale Marktwirtschaft“ versehene Kapitalismus, auf den wir nicht vorbereitet waren, den wir jedoch in seiner gesamten Struktur in Frage stellen.

All dies läßt sich auf der Abstraktionsebene leicht schreiben. Dahinter stecken jedoch die Biographien jeder einzelnen Frau aus Ost und West, ihr ganz indvidueller Weg zur Frauenbewegung. Was hat die Einzelne motiviert, sich frauenpolitisch zu engagieren? Dies kann nur erfahrbar, nachvollziehbar werden, wenn wir uns die Zeit und den Raum zum persönlichen Austausch nehmen.

Einen solchen Versuch werden Frauen aus dem östlichen und dem westlichen Teil Berlins heute mittag — im Rahmen der ersten Ostberliner Frauenwoche — unternehmen, wenn vier sehr verschiedende Frauen (selbstverständlich quotiert: zwei Ost, zwei West) ihre ganz persönlichen politischen Biographien erzählen. Dies soll der Anfang einer Serie von Gesprächen sein, in denen unter anderem Themen wie Nachtarbeit für Frauen oder Koedukation diskutiert werden sollen. Die Idee kam von Frauen des UFV und der Alternativen Liste, die diese Runde auch gedanklich gemeinsam vorbereiteten.

Daß dem Unabhängigen Frauenverband von der Ostseite her für die notwendige Diskussion über den Ost- West-Feminismus eine sehr wichtige Rolle zukommt, liegt schon allein darin begründet, daß die Ost-Feministinnen zum größten Teil hier ihr politisches Wirkungsfeld gefunden haben. In anderen politischen Gruppierungen, die aus dem Osten stammen, agieren Feministinnen immer noch aus einer Minderheitsposition heraus.

Daß dies nicht so bleiben muß, dazu tragen die verschiedensten Gesprächsrunden und Arbeitsgruppen bei, wie der Frauenpolitische Tisch in Berlin, an dem Ost- Frauen und West-Frauen der verschiedensten Organisationen zusammenarbeiten. Marinka Körzendörfer/Sibyll Klotz

Die Autorin, ehemalige taz-Frauenredakteurin, beschäftigt sich derzeit frauenforschend mit dem Ost-West-Verhältnis

Marinka Körzendörfer ist Pressesprecherin des Unabhängigen Frauenverband es (UFV). Sibill Klotz ist UFV-Mitglied, frauenpolitische Sprecherin und Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Grüne (AL)/ UFV