»Leben heißt, daß man neugierig bleibt«

■ Ende der Achtziger hat Marianne Rosenberg die »Metamorphose« beendet/ In Schwulenkreisen ist sie geradezu ein Mythos

Die kleine schwarzgekleidete Frau mit den dunklen Locken und dem skeptischen Blick ist weder mädchenhaft noch niedlich. Sie wirkt bestimmt, energisch und selbstbewußt. Ist Marianne Rosenberg tough? »Tough? Ich glaube, das fällt dir nur auf, weil ich eine Frau bin. Bei einem Mann würdest du das als ganz normal empfinden und sagen: Der weiß, was er will.« Was sie wollte, wußte sie eigentlich schon immer. »Ich wollte immer singen und berühmt werden«, erzählt sie. »Schon als Kind habe ich kleine Bühnen gebaut und mit Puppen Shows zusammengestellt.«

Schließlich war Marianne Rosenberg in den siebziger Jahren nicht nur irgendeine Schlagersängerin, sondern selbst ein Teenager. Wenn sie mit glockenheller Stimme verkündete: Er gehört zu mir, wußte sie, wovon sie sang. Sie traute sich auszusprechen, was alle Pubertierenden beim Engtanz auf dem Klassenfest dachten, aber nicht zu sagen wagten.

Irgendwie fühlte man sich ertappt, wenn sie von Mr. Paul McCartney schwärmte, und Ich bin wie Du offenbarte alles über die herrliche Banalität der ersten Liebe. Von daher gehörte schon immer ein gewisser Mut dazu, sich zu bekennen, daß man im Innersten seines Herzens genauso empfand. War man wirklich so verkitscht? Wenn man ehrlich ist, schon: Jeder kannte ein so gemeines Biest wie Marleen, das anderen Mädchen den Freund wegschnappte, oder dachte an den Fremden Mann. Musikalisch war Marianne Rosenberg dabei durchaus auf der Höhe der Zeit. Ihre Dramen spielten sich in reinstem Phily-Sound ab. Nicht umsonst sind die Platten, deren Besitz man früher gern den kleinen Geschwistern andichtete, heutzutage Klassiker.

»Um das mal zu betonen«, lacht sie, »meine Playbacks aus den Siebzigern stehen denen von Barry White in nichts nach.« Und dann — ganz plötzlich — war die Marianne Rosenberg, die man kannte, von der Bildfläche verschwunden. Zu Beginn der achtziger Jahre überraschte sie mit Ausflügen in die Rockszene, spielte in Filmen wie Der Biß und gründete mit ihrer Freundin Marianne Enzensberger die Band »Rouge et Noir«. 1989 war die Metamorphose beendet, und die »neue« Marianne Rosenberg, die mit dem Album Uns verbrennt die Nacht ins Rampenlicht trat, hatte sich von dem netten pummeligen Teenager von nebenan in eine glamouröse Schönheit verwandelt. Ein neues Gesicht für ein Produkt?

»Bestimmt nicht! Das ist keine kalkulierte Sache, sondern Resultat einer Entwicklung. Wenn man sich Fotos von mir ansieht, habe ich mich immer verändert. Ich hätte keine Lust, ein Leben lang mit derselben Frisur und denselben Gesten aufzutreten wie beispielsweise Mireille Matthieu. Das gilt auch für meine Musik. Ich hätte auch noch Jahre so weitermachen können. Was dann passiert, kennt man: Irgendwann bist du out und fertig, und dann kriegst du einen Stern-Titel, wenn du tot bist.«

Marianne Rosenberg wollte selber texten und komponieren und fürchtete längere Plattenverträge als Einschränkung ihrer künstlerischen Freiheit: »Schließlich bin ich als Sängerin es, die Text und Musik mit Leben erfüllt. Niemand kann mich zwingen, etwas zu machen, worauf ich keine Lust habe.«

Musikalisch knüpft sie mit ihrer neuen Platte Und Du kannst nichts dagegen tun an ihre Vergangenheit an, auch wenn Stücke wie Frage niemals eindeutig dancefloor-orientiert sind. Ihr Verhältnis zu Texten ist heute differenzierter.

»Zwar schreibe ich heute auch Texte, die nur eine dreißigjährige Frau schreiben kann, aber ich habe keine Angst vor dem Trivialen. Bei einem Lied übernehme ich eine Rolle. Es ist diese Gratwanderung zwischen Kitsch, Ironie und Wahrheit, die mir Spaß macht. Es ist immer auch ein Teil von mir dabei, sonst könnte ich das nicht singen. Er gehört zu mir war 1976 ein Lied, das ich ernst gemeint habe, heute singe ich das ironisch. Vielleicht findet man es aber auch ganz toll, wenn man verliebt ist. Viel von dem Gefühl transponiert sich über die ‘Ahas‚ und ‘Uhus‚. Das sind Sachen, die kann man nicht timen, die kommen spontan. Ich denke, das Kunststück bei den Liedern ist, daß jeder eine ganz andere Geschichte hineininterpretieren kann.«

Nicht zu übersehen, daß Marianne Rosenberg hochschwanger ist. »Gerade jetzt?« wundere ich mich und frage, wie sich denn Mutterschaft mit dem Erfolg und dem Glamour-Image verträgt. »Ich weiß nicht, ob sich dadurch so viel verändert. Das werde ich sehen, wenn es soweit ist. Sicher hätte das früher zu meinem Image besser gepaßt, aber ich achte nicht darauf, was gerade angebracht ist. Ich entscheide häufig sehr emotional, auch im Beruflichen, aber da habe ich meinen Manager, der mich korrigiert.«

Wie erklärt sich Marianne Rosenberg, daß sie nicht zuletzt in Schwulenkreisen geradezu ein Mythos ist? »Eigentlich habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, das ist einfach so. Schwule stehen auf starke Frauen. Vielleicht liegt es auch einfach daran, daß Schwule auf Liebe und Gefühl mehr Wert legen als Heteros. Außerdem haben sie mehr Humor. Das Wort Mythos hat immer so einen tragischen Beigeschmack... Ich glaube nicht, daß Erfolg immer etwas mit Einsamkeit und Tod zu tun haben muß.«

Sie macht eine Pause, streicht die Haare zurück und lächelt: »Ich denke auch nicht dauernd über den Sinn des Lebens nach. Leben heißt für mich einfach, daß man etwas tut, sich mit Menschen auseinandersetzt und vor allem, daß man neugierig bleibt. Ich bin zwar ziemlich mißtrauisch, aber ein sehr neugieriger Mensch.«

Und wenn sie lächelt, ist sie — auch wenn sie das vielleicht gar nicht sein will — plötzlich wieder das Pop- Schneewittchen: schwarz wie Ebenholz, rot wie Blut, weiß wie Schnee und sehr niedlich. Martin Schacht