Neulich ...

■ ... fremd in der Stadt

Fremd und unbekannt in Bremen mache ich mich von der Wohnung meiner verreisten Gastgeberin auf, um die Innenstadt zu finden. Das kann ja nicht schwer sein, für jemanden, der den Hamburger Großstadtdschungel gewöhnt ist. Ich folge kleinen holprigen Gäßchen mit Katzenkopfplaster. Die werden, sehe ich auf Schildern, „Fahrradstraßen“ genannt. Arme Fahrräder! — Da vorn ist eine größere Einkaufsstraße. Vielleicht schon das Zentrum? Es sieht alles nach gehobener Bürgerlichkeit aus, ganz so hübsch und sympathisch, wie Bremen im Hamburger Vorurteil existiert. Ob das hier wohl das „Viertel“ ist? Ein Lädchen neben dem anderen, dazwischen Kneipen, in denen schon am Mittag Kerzen brennen, „und ein Café voller Szene-Typen; an der Eingangstür steht: „Kinder ja! Wagen nein!“ Gegenüber, hinter getönten Scheiben, sitzen Elvis-Jünglinge mit Madonna-Mädchen und lassen sich lässig von den Einkaufenden begutachten. Zwei Naturkostläden sehe ich und einen für Naturkosmetik. Da drüben fällt mir die weichgeschwungene Schrift an einem Imbiß auf, arabische Spezialitäten! Wirklich, eine lebendig gebrochene Stadt-Idylle. Ein bißchen brav vielleicht. An der Straßenkreuzung vor einem Gyrosladen weichen die Fußgänger vor einer Menschengruppe aus. Das ist ja gar keine Straßenbahnhaltestelle, ich merke es erst, als ich schon mittendrin bin. Die Herum

In einer Seitengasse mit dem wunderschönen Namen Helenenstraße möchte ich eine Wohnung suchen

steher sehen so krank und fertig aus, das können nur — Junkies sein...! „Sternchen!“ brüllt ein klapperdürrer Junge und rennt auf einen lässigen Ledertypen zu. Die anderen aber lehnen sich nur apathisch irgendwo an, sie bitten nicht um „ne Mark“, sondern gucken nur müde die Vorbeigehenden an. Verwirrt wechsle ich die Straßenseite und stoße fast mit einem Afrikaner zusammen, der so tut, als ob er zu den Passanten gehörte. In Wirklichkeit dreht er immer nach ein paar Metern wieder um, und nicht nur er, sondern fünf andere dazu. Sie murmeln Unverständliches, merken aber schnell, daß ich keine Ahnung habe, und gucken gleichgültig in die Luft. Es scheint mir jetzt, das hier ist eine recht merkwürdige „Einkaufsstraße“! Im Weitergehen taucht ein kleines Kino auf: „Leningrad Cowboys go America“ — wohin aber gehe ich? In eine Seitengasse mit dem wunderschönen Namen „Helenenstraße“. Hier möchte ich eine Wohnung suchen, doch ach! „Zutritt nur für Männer...“ — Was ist das für eine absonderliche Straße, in der ein ganzer Stadt-Kosmos auf 8oo Meter zusammengedrängt ist? Sie läßt mich nicht unberührt. Erst recht nicht, als ich noch ein Kino entdecke. Dort läuft: „Das Leben der Boheme“ — und mir laufen die Tränen, ein bißchen, im Vorführraum. Vielleicht, weil das Kino in dieser rätselhaften Straße liegt und diese Straße in der Stadt, die ich bald besser kennenlernen werde. Cornelia Kurth