KOMMENTAR
: Eine Zukunft für die Platte

■ Wer nicht das soziale Gefüge repariert, kann sich die Sanierung der Plattensiedlungen auch sparen

Bereits die nackte Zahl von fast 270.000 Wohnungen für über 700.000 Menschen verbietet den Gedanken an Abriß, auch wenn dies mehr als verlockend wäre. An einer Sanierung der Plattenbausiedlungen führt kein Weg vorbei. Das Problem der Platte ist aber nur zum Teil ihre schlechte bauliche Qualität. Rund um die Platte, diesem steingewordenen Inbegriff von Tristesse, summiert sich vielmehr das ganze hinterlassene Elend einer Bauwirtschaft, die Wohnen einfach nur als quantitatives Problem einer Versorgung der Menschen mit quadratischen Schachteln ansah. Allein die schlechte Bausubstanz jedenfalls — das beweisen die für viele Menschen attraktiven Bezirke Kreuzberg und Prenzlauer Berg — ist nicht entscheidend für das Negativ-Image einer Wohngegend. Die baulichen Schäden in den Plattensiedlungen sollen damit nicht verharmlost werden. Aber es kommt nicht nur auf Wärmedämmung und reparierte Wasserleitungen, sondern auch auf eine schonende Reparatur des sozialen Gefüges in Marzahn oder Hellersdorf an. Die Wohnblocks können noch so aufs feinste auf den bautechnischen Stand gebracht sein, doch wenn nicht vorrangig das Wohnumfeld ein anderes wird, kann man sich das Geld getrost sparen.

Die Zeichen sprechen nicht dafür. Seit der Wende sind die Plattensiedlungen ganz ins Abseits geraten; Versuche aus der Endzeit der DDR, das soziale Umfeld zu verbessern, wurden eingestellt. Die Menschen, »randständig« gemacht in mehr als einer Beziehung des soziologischen Slangs, erfahren täglich, wie abgeschrieben sie sind. Sie sind höchstens der Steinbruch für Elend- und Gewalt-Geschichten der Presse. Die Treuhand bedroht zudem mit dem angestrebten Verkauf der sogenannten »Dienstleistungswürfel« die Existenz der wenigen Jugendeinrichtungen in den Siedlungen. Mit all dem wird der Wohnwert systematisch gemindert, sind für die Zukunft soziale Verhehrungen und Hoffnungslosigkeit garantiert. Platte wird so erst recht zum Synonym für soziale Brennpunkte, Kriminalität und Gewalt. Bertolt Brecht wußte, daß man einen Menschen auch mit einer Wohnung erschlagen kann. Gleiches, so ist nachzutragen, gilt für das Wohnumfeld. Gerd Nowakowski