Das Mielke-Verfahren gewinnt an Stil

■ Die Spannung zwischen prozessualem Recht und historischer Wahrheit wird vom Gericht erstmals wahrgenommen

Berlin (taz) — Langsam, aber sicher entsteht im Prozeß gegen Erich Mielke so etwas wie Verhandlungsklima: Staatsanwälte und Verteidiger hören einander zu, das Gericht pariert das Dauerfeuer der Anträge mit differenzierender Geduld und — last not least — beginnt der Angeklagte, seinem Fall aufrecht, fast neugierig zu lauschen, die Äuglein hellwach.

Deutlicher als während der vorangegangenen Blitzsitzungen gingen die Prozeßbeteiligten gestern dem zentralen Thema der Verhandlung nach: der Spannung zwischen Wahrheitsfindung einerseits und strafprozeßrechtlichen Garantien andererseits. Der Polizistenmord von 1931 war, so kann man mit einigem Recht vermuten, ein Anschlag kommunistischer Radikaler auf die Republik von Weimar, beabsichtigt war die Demontage der sozialdemokratischen Regierung Preußens. Höchst fragwürdig aufgeklärt aber wurde der Doppelmord erst 1933/34. Zu einem Zeitpunkt also, als die Ziele der Täter so ganz anders als von ihnen beabsichtigt erreicht waren: Als statt der proletarischen Diktatur ein braunes Nazi-Reich errichtet worden war. Der Bülowplatzverfahren von 1934 war ein nazistischer Schauprozeß — der Bülowplatzmord von 1931 radikal- kommunistische Propaganda der (blutigen) Tat.

Nur teilweise wies die 23. Strafkammer gestern den Antrag des Verteidigers Stefan König zurück, der verlangt hatte, bestimmte Protokolle aus den Jahren 1933/34 nicht zu verlesen, weil die damals Vernommenen in ihren „elementaren Rechten“ beschränkt und nicht hinreichend oder überhaupt nicht von Verteidigern ihrer Wahl beraten worden seien. Wie der Vorsitzende Richter, Theodor Seidel, erklärte, hält das Gericht die (polizeilichen) Aussagen des 1934 angeklagten Michael Klause für nicht verwertbar. Da Klause nach seiner Verhaftung im März 1933 zunächst in einer sogenannten SA-Unterkunft untergebracht gewesen sei, sei er „mit hoher Wahrscheinlichkeit mißhandelt worden“, seine Aussagen unterlägen deshalb einem Beweisverwertungsverbot. Die Entscheidung ist deshalb von Bedeutung, weil die Aussagen Klauses eine der zentralen Stützen der Anklageschrift von 1934 sind.

Hinsichtlich der darüber hinaus von König monierten Rechtsverstöße bei den damaligen Ermittlungen folgte das Gericht dem Antrag der Verteidigung nicht, da sie bislang nur allgemein und noch nicht genügend konkret formuliert seien. Allerdings seien an einen solchen konkreten Nachweis „unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse sicher keine allzu hohen Anforderungen zu stellen“. König kündigte weitere Beweise über die „muntere Zusammenarbeit von SA und Polizei“ an. Götz Aly