Kassandra positiv

■ „Sehstücke“ von Helga Schröder und Gisela Genthner im Überseemuseum

Die drei kleinen Jungen stehen skeptisch vor dem großen Leporello zum Umblättern: „Was soll denn das darstellen?“ fragt einer, fast ein bißchen empört angesichts der abstrakten braun-gelben Zeichen. Die freundlichen Erklärungen der Malerin Helga Schröder helfen ihm nicht weiter. Er weiß nichts von der minoischen Kultur auf Kreta und daß „Idole“ kleine stilisierte GöttInnenfiguren sind, deren Umrisse Schröder in ihren Bildern andeutet.

Die Jungen wenden sich lieber den konkreteren Gegenständen zu. In der Mitte des großzügigen Raumes im 1. Stock des Überseemuseums hängt ein vielteiliges Mobile, meeresblau die rechteckigen Einzelteile, und mit helleren Symbolen wie mit Wellenschaum gezeichnet. Wenn man dagegen pustet, kann man von einer sanften Mittelmeerbrise träumen. Fast alle Bilder und Objekte von Helga Schröder vermitteln einen Eindruck lebenskräftiger Landschaften,von Sonnenfarben gelb-rot-violett durchflutet.

Doch ist diese warme Sinnlichkeit immer symbolisch gebrochen und aufgeladen durch Schriftzüge, die sich, teils leserlich, teils als bloße „Erinnerung an Schrift“ auf den Objekten verteilen und sie vereinnahmen. „Schrift“ ist das Thema von Helga Schröder, seit über zehn Jahren. Während ihrer Reisen nach Griechenland und Ägypten hat sie sich immer neue Variations-Anregungen geholt. Auf Japanpapier, auf Papyros und handgeschöpften fasrigen Papieren, oft zu engen Röllchen zusammengedreht, stehen nicht nur eigene Gedanken und Erinnerungen, sondern auch Texte aus Totenbüchern, alten Mythen und Auschnitte von verschiedenen Dichtern, unter anderem aus Christa Wolfs „Kassandra“.

Zur „Kassandra“-Reihe gehören zusammengerollte und bemalte Zeitungen aus der „Wende“-Zeit 1989, die sich wie zu einer Demonstration formiert haben. Das Objekt scheint die gesamtdeutsche Zukunft zynisch zu kommentieren: ein versteckter Kassandra-Ruf der trojanischen Unglücks-Prophetin. Aber nein! Helga Schröder schüttelt entschieden den Kopf: „Kassandra ist eine sehr positive Figur und drückt weibliche Stärke aus.“ Wie man's nimmt...

Düster auf jeden Fall sind die „Acryl auf Papier“-Bilder der Berlinerin Gisela Genthner, deren Schwarz-Weiß-Monotonie die Mittelmeer-Farbenpracht kontrastiert. In ihrer imaginären Licht-Schatten-Großstadtarchitektur finden sich seltsame Anklänge an die Pfahlbauten und Masken aus der alten Neuseeländischen Kultur. Cornelia Kurth

noch bis zum 5. April