Adler und andere Überflieger der Geschichte

■ Der Platz der Luftbrücke: Ein Ort voll von Denkmälern, aber an das KZ Columbia will kaum jemand erinnert werden

Tempelhof. Eskortiert von RAF- Mitgliedern näherte sich der Oberbürgermeister. Um Himmels willen, sollte er etwa entführt werden? Nicht doch. Es handelte sich um Vertreter der englischen Royal Air Force, die den Bürgermeister Ernst Reuter zur feierlichen Taufe des »Platzes der Luftbrücke« begleiteten. Über dem Portal der »American Overseas Aerlines« flatterten am 25. Juni 1949 die Fahnen der drei westlichen Alliierten, und Reuter würdigte deren Einsätze bei der gerade beendeten Berlin-Blockade. Zehn Monate lang waren ihre »Rosinenbomber« mit Lebensmitteln, Kohlen und Klopapier im Zwei-Minuten-Takt auf dem Flughafen Tempelhof gelandet, nachdem die sowjetischen Besatzer alle Zufahrtswege nach Berlin blockiert hatten. Der Oberbürgermeister erinnerte auch an die tödlichen Unfälle bei den insgesamt 277.728 Flügen, mit denen 2,3 Millionen Tonnen Güter zu den hungernden Berlinern gebracht worden waren: 24 Flieger waren dabei abgestürzt und 76 Menschen gestorben.

Die Namen der Toten sind in dem Sockel des Luftbrückendenkmals eingraviert, das sich stiefmütterchenumrundet auf dem Rasenflecken in der Mitte des Platzes gen Himmel reckt. »Die sind ja Tach und Nacht jeflogen«, erklärt eine Oma ihrer ungeduldig auf Rollschuhen hin und her rutschenden Enkelin die Geschichte, die für sie noch sehr lebendig und für das Kind fern und tot ist. Die Historie der ehemaligen Frontstadt West-Berlin wäre womöglich ein Stückchen anders verlaufen, wenn die russischen Kommunisten mit der Blockade nicht selbst den Antikommunismus so heftig geschürt hätten. »Hungerharke«, nannten die Westberliner das 1951 von Eduard Ludwig errichtete Denkmal, das eine Flugbahn mit drei Harkenspitzen alias drei Westalliierten symbolisiert.

Ein schwarzer Jogger flitzt durch das Rasengrün. Der GI gehört zu jener Einheit der US-Air-Force, die noch immer im nördlichen Teil des Flughafens residiert. »Zutritt verboten«, warnen Schilder an den Zäunen am Platz der Luftbrücke und am Columbiadamm. Doch die Zeit ist absehbar, da sämtliche Gebäude des Flughafens — 1924 gebaut, 1934 von den Nazis erweitert, 1945 zuerst von den Russen und dann von den Amerikanern besetzt — wieder ausschließlich von Deutschen okkupiert sein werden. Da die im Protz- und Klotzstil der Nazis gehaltenen Bauten, die den Ostteil des Platzes umschließen, nicht alle für den Flugverkehr benötigt werden, residieren dort schon seit geraumer Zeit diverse deutsche Ämter. Im Süden ist es das Polizeipräsidium, bewacht von einem häßlichen abgasverdreckten Adler auf der Fassade. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite am Tempelhofer Damm wird gerade am Neubau für die Polizeidirektionen Verbrechensbekämpfung und Polizeitechnische Untersuchung gebastelt. Richtung Osten schließen sich das Landeseinwohneramt und das Zentrale Fundbüro an. An deren Arkaden weist eine von Lufthansa gestiftete Schiefertafel ungeniert auf folgende geschichtsträchtige Verbindung hin: »Hier in Tempelhof hatte die am 6. Januar 1926 gegründete Deutsche Lufthansa AG von 1938 bis 1945 ihren Verwaltungssitz...« Historisch auch nicht ganz harmlos ist das 1985 eingeweihte »Eagle Square« direkt vor dem Flughafeneingang. Ein Adlerkopf — es wimmelt hier von deutschen Adlern! — soll an die 4,50 Meter hohe, von den Nazis auf das Dach des Hauptgebäudes montierte Adlerstatue erinnern, die erst 1962 einem Radargerät weichen mußte. Der englisch- und deutschsprachige Text auf dem Kieselsteinsockel gibt an, daß sich das Vieh heute in einem Militärmuseum der USA befindet, den hier ausgestellten Vogelkopf aber habe die US-Air-Force symbolisch »zurückgeholt, um ihn den Berlinern zu erhalten.« Linkerhand vom Eagle Square befindet sich die US-Offiziersmesse, gen Norden hin folgt das Bundesgesundheitsamt und seine Zentrale Datenverarbeitung, der Deutsche Wetterdienst und das Bundeskartellamt.

Die Behörden setzen zwar die Herrschaftsgeschichte des Platzes fort, aber sie weisen nicht darauf hin. Ein Denkmal für die Alliierten, eins für Lufthansa, eins für den deutschen Reichs- und Bundesadler und kein Denkmal, das an hiesige Nazi-Untaten erinnern würde. Der Flughafen Tempelhof nämlich sollte nach den Plänen Adolf Hitlers nicht nur eine zentrale logistische Funktion für die Reichshauptstadt und ihre Eroberungsfeldzüge planenden Herrscher erfüllen, er sollte auch der »größte und schönste der Welt« werden und »jede abfällige Kritik über Deutschland zum Erstummen bringen«. Seine vom Architekten Ernst Sagebiel 1934 entworfene Erweiterung war just zum Weltkriegsbeginn im Jahre 1939 fertiggestellt. Die makaberste Pointe dieser Planung bestand jedoch im Abriß des KZs Columbia, das am damals geographisch noch etwas anders verlaufenden Columbiadamm 1-3 den Erweiterungen im Weg stand. Nicht viele der Häftlinge, die deshalb im November 1936 ins KZ Sachsenhausen überführt wurden, dürften die Zeit nach der Verlegung überlebt haben.

Im Kaiserreich war dieses »Columbiahaus« eine Militäranstalt im Kasernenbereich zwischen Friesen-, Jüterboger-, Golßener Straße und Columbiadamm gewesen und danach ein Knast. Im Frühjahr 1933 wandelte ihn die SS in eine Folterstätte um. Zwischen dem Gestapo- Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße, heute Ort der Dauerausstellung Topographie des Terrors, und dem KZ Columbia, das seit Ende 1934 als eines der ersten sieben Konzentrationslager im Nazireich fungierte, herrschte ein — von Heinrich Himmler persönlich angeordneter — regelrechter Pendelverkehr. Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Geistliche, Freimaurer und Homosexuelle wurden von dahin nach dorthin verbracht, nach der Röhm-Affäre auch verhaftete SA- Angehörige. Doch an das alles erinnert kein noch so kleines Täfelchen. Nur die Flieger landen hier als Überflieger der Geschichte immer noch auf dem Rollfeld hinter dem Platz. Diese historische Kontinuität ist nicht zu überhören und nicht zu überriechen — nach Kerosin stinkt's nämlich. Zählte man im ersten Herrschaftsjahr der Nazis stolze 40.202 Starts und Landungen, so ging diese Zahl nach dem Krieg stark zurück und wurde auch 1958 mit 30.163 Bewegungen nicht wieder erreicht, allerdings waren die Flugzeuge größer geworden. Ab 1975 wanderten die meisten Fluggesellschaften zum neuen Flughafen Tegel ab, in Tempelhof landeten fast nur noch die lauten Militärbrummer. Die Rosinenbomber der britischen RAF, der französischen und der amerikanischen Air Force sind jedoch längst eingemottet, werktäglich 112mal aufheulendes Gedröhne stammt von modernen Fliegern. Ute Scheub