CHEFREDAKTEUR DER 'RUDE PRAVO‘ UNTER VORWURF DES BETRUGS VERHAFTET

Wie in bösen alten Zeiten

Prag (taz) — „Die tatsächliche Ursache dieses repressiven Schrittes gegen eine der größten tschechoslowakischen Tageszeitungen ist seine kritische Berichterstattung.“ Mit diesen Worten reagierten die Redakteure der ex-kommunistischen Parteizeitung 'Rude pravo‘ auf die Verhaftung ihres Chefredakteurs Zdenek Porybny. Dieser war am Montag morgen unter dem Verdacht des „unlauteren Wettbewerbs“ und des „Betrugs“ festgenommen worden. Als Direktor des Prager Verlages „Florenc“ soll er die Rechte für die Herausgabe der 'Rude pravo‘ von dem staatlichen Unternehmen auf die von ihm gegründete Aktiengesellschaft „Borgis“ übertragen und dadurch die Staatskassen um mindestens 24 Millionen Kronen (1,4 Millionen DM) gebracht haben. 'Rude pravo‘, die seit dem Frühjahr 1990 als „unabhängige Zeitung“ erscheint — aus ihrer Sympathie für die linken Parteien des Landes jedoch nie einen Hehl gemacht hat —, zählt mit 350.000 Exemplaren heute zu den auflagenstärksten Blättern der CSFR. An der Anklage vom Dienstag erschien zunächst nichts Ungewöhnliches. Die Methode der „alten — kommunistischen — Strukturen“, lukrative Aufträge von den von ihnen geleiteten staatlichen Unternehmen auf ihre Privatbetriebe zu übertragen, ist bekannt, immer wieder gibt es Versuche, dagegen juristisch oder politisch vorzugehen. Ungewöhnlich sind jedoch die Begleitumstände der Verhaftung Porybnys. Wie in realsozialistischen Zeiten wurde er um 5.20 Uhr in der Frühe von Polizeibeamten des Innenministeriums aus dem Bett geholt und in Handschellen zur Vernehmung abgeführt, die Büros kommunistischer Parlamentsabgeordneter wurden zur „Sicherstellung von Beweismaterial“ ohne Genehmigung durchsucht. Obwohl gegen den Chefredakteur bereits seit einem halben Jahr ermittelt wird, und er somit genug Zeit hatte, eventuelle Mitwisser zu „instruieren“, lehnte das zuständige Stadtgericht eine Haftverschonung des Redakteurs nun mit dem Hinweis auf die „Verdunkelungsgefahr“ ab. „Sehr seltsam“ sei nach den Worten des stellvertretenden Parlamentspräsidenten Zdenek Jicinsky außerdem das Eingreifen der föderalen Polizei. Diese sei für den Kampf gegen Terrorismus, nicht aber für „unlauteren Wettbewerb“ zuständig. Nachdem vor einigen Wochen gegen den Charta-Unterzeichner Zdenek Mlynar eine Untersuchung wegen „Vaterlandsverrat“ eingeleitet worden war, ist nach Ansicht vieler Politiker des linken Spektrums der „Fall Porybny“ ein weiteres Beispiel dafür, wie das Innenministerium drei Monate vor den Parlamentswahlen gegen politische Gegner vorgeht. Zdenek Jicinsky: „Es scheint, daß das Innenministerium sich auf einen Weg begeben hat, der den Aufbau des Rechtsstaates in der Tschechoslowakei bedrohen könnte.“ Sabine Herre