Razzia bei MBB und Gildemeister

Berliner Staatsanwaltschaft ließ gestern die Firmen MBB und Gildemeister-Projecta durchsuchen / Ermittler vermuten Kooperation mit Schalck-Firmen bei illegalen Irak-Geschäften  ■ Thomas Scheuer

Bonn (taz) — Der Münchner Rüstungskonzern MBB und die Bielefelder Firma Gildemeister-Projecta stehen in dem Verdacht, bei der illegalen Lieferung von Rüstungstechnologie in den Irak mit Mittelsmännern aus dem Untergrundimperium des ehemaligen DDR-Schieberpapstes Alexander Schalck-Golodkowski gekungelt zu haben. Zollfahnder und Kripobeamte rückten am gestrigen Freitag bei beiden Firmen zur Razzia an. Die Berliner Staatsanwaltschaft will klären, ob MBB und Gildemeister Lieferungen in das irakische Raketenentwicklungszentrum SAAD 16 bei Mossul über KoKo-Firmen abwickelte, um die bundesdeutschen Exportvorschriften zu umgehen.

Die Beteiligung der beiden Firmen am Rüstungskomplex SAAD 16 ist bereits aktenkundig. In Mossul wollte der Irak unter anderem eine eigene Mittelstreckenrakete unter dem Namen Condor II bauen. In einem Firmenschema der Irakis werden Gildemeister als Generalunternehmer („main contractor“) und die hundertprozentigeige MBB-Tochter MBB-Transtechnica als Unterauftragnehmer („sub-contractor“) für den Raketenbereich bezeichnet. Mitte der 80er Jahre, als der militärische Charakter der „Wetterforschungsrakete“ Condor II bekannt wurde, zog sich MBB auf Druck der Bundesregierung aus dem Projekt zurück. Ehemalige MBB-Männer gründeten daraufhin ein weitverzweigtes Netz von Firmen in Monaco, München, Salzburg und Zug um den Deal unter neuen Briefköpfen fortzuführen. Gegen MBB-Transtechnica ermittelt in diesem Zusammenhang nach wie vor die Münchner Staatsanwaltschaft.

Die Staatsanwälte der Arbeitsgruppe Regierungskriminalität beim Kammergericht Berlin stießen bei ihren Ermittlungen gegen Firmen und Topleute des Bereiches „Kommerzielle Koordinierung“ jetzt offenbar auf mögliche Verbindungen zwischen MBB- und KoKo-Vertretern. Eine Schlüsselrolle in dem noch undurchsichtigen Beziehungsgeflecht spielt der frühere Geschäftsführer der KoKo-Firma CAMET, Werner Weber. Der verfügte seit eh und je über beste Drähte ins Bayerische: In Ostberlin wirkte Weber als Repräsentant des Rosenheimer Fleisch- und Wurstwarenkonzerns März. Auch im Geschäft mit Knallchemikalien und Waffenkram hatte Weber seine Finger. Als KoKo-Chef Schalck-Golodkowski zwischen 1986 und 1989 im Nato-Ausland eine komplette Produktionsanlage für Munition und Raketentreibstoff beschaffen wollte, schickte er Werner Weber an die Embargofront. Das Geschäft wurde seinerzeit zwar im letzten Moment abgeblasen; Weber aber hatte immerhin schon ein verbindliches Angebot der österreichischen Firma Hirtenberger an Land gezogen. In den umfangreichen KoKo-Akten zu diesem Projekt finden sich zahlreiche Visitenkarten von Firmen und Geschäftsleuten aus dem Umfeld der Consen-Gruppe. Über einen seiner Gesprächspartner meldete Werner Weber damals entzückt in die Ostberliner Zentrale, es handle sich um einen „versierten Pulver- und Raketentreibstoffexperten. Er war an Entwicklungen von Panzerabwehrlenkraketen und der Flugabwehrrakete ,Roland‘ gemeinsam mit Messerschmidt-Bölkow-Blohm beteiligt“.

Im Spätherbst 89 wandte sich Weber mit einem brisanten Vorschlag an seine KoKo-Oberen. Die westdeutschen Firmen MBB und Gildemeister, so meldete Weber nach einer München-Reise, hätten eine Anlage zur Produktion von „ein- und zweibasigen Treibmitteln“, das sind Schießpulver und Raketentreibstoff, in den Irak geliefert. Doch Behörden und Gesetzeslage behinderten nun die Erfüllung noch ausstehender Leistungen im Bereich Know-how- Transfer und Ausbildung des irakischen Personals. Da könne KoKo, so schlug Weber vor, doch den Brüdern im Westen mit einem KoKo-Firmenmantel aushelfen. Ins Gespräch brachte Weber die KoKo-Firma WITRA GmbH, die 1987 als Tochter der IMES GmbH gegründet worden war. Die IMES GmbH war in Schalcks klandestinem Netzwerk für den Waffenhandel zuständig. Für ihre Hilfe, so rechnete Weber vor, bekäme die KoKo Provisionen in Höhe von drei Millionen Mark. Das Geschäft wurde wohl von den Wendewirren überrollt. Doch die Ermittler wollen nun wissen, ob es in den Jahren zuvor über Webers Bayern- Connection nicht doch ähnlich explosive Deals gegeben hat. Der Fall besitzt höchste politische Brisanz: Sollte Weber damals nicht nur geflunkert haben und sollten die Ermittlungen bestätigen, daß MBB- Leute mit KoKo/Stasi-Agenten über derartige Umgehungsgeschäfte via DDR auch nur kungelten, würde dies bedeuten, daß hochkarätige Nato- Rüstungsmanager für die Stasi potentiell erpreßbar waren. Der Schalck-Untersuchungsausschuß des bayerischen Landtages, so forderte gestern in München der zuständige Fraktionsmitarbeiter der Grünen, Michael Weiss, müsse untersuchen, ob die MBB-Aufsichtsratsmitglieder Ministerpräsident Streibl und Finanzminister von Waldenfels von den heiklen MBB-KoKo-Kontakten wußten oder hätten wissen müssen. Notfalls, so Weiss, müsse man den Untersuchungsauftrag des Ausschusses erweitern.