Wasserball braucht viele Beine

■ Im Berliner Pokal durfte auch eine Schiedsrichtermannschaft mitpaddeln/ Die taz-Unterwasserrecherche ergab, daß die Schiris zu harmlos im versteckten Foulspiel sind

Schöneberg. Am Freitag abend gab es in der Schwimmsporthalle am Sachsendamm eines jener denkwürdigen Ereignisse zu bestaunen, die es nach den Regeln des Wasserballverbandes nicht gibt — außer in Berlin. Die hiesigen Wasserball-Schiedsrichter nämlich bilden alljährlich eine Auswahl und beteiligen sich beim Plantschen um den Berliner Pokal. In diesem Jahr bescherte ihnen das Los mit der zweiten Mannschaft von Spandau 04 einen Gegner, der die obligatorische Kontrolle der Fingernägel vor dem Spiel überflüssig machte. Vor Sorge ganz abgeknabbert waren sie, so übermächtig schienen die Spandauer. Schließlich bietet solch eine Begegnung den regulären Spielern eine Chance, die erpfiffene Schmach der letzten Saison wasserballerisch zu kompensieren. Und, um es vorweg zu schreiben, manch Genugtuung verbreitender Lacher ertönte aus dem Wasser, wenn es den Spandauern wieder einmal gelang, einen Schiri kurzerhand zu tunken und des Balles zu berauben. Außergewöhnliche Spiele erfordern außergewöhnliche Sichtweisen. Deshalb erschien es der taz geraten, Teile des Spieles aus der Unterwasserperspektive zu verfolgen, um Einblicke in diese Sportart zu nehmen, die dem Zuschauer normalerweise abgehen.

Der Kampf um den Ball nach Anpfiff des jeweiligen Viertels war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sich die Schiris zum Kraulsprint verleiten ließen. Im zweiten Viertel gelang es ihnen auch einmal unter dem Jubel der Auswechselspieler beider Mannschaften, den Ball zu ergattern. Aus der Fischperspektive war das ein wildes Schlagen von Armen und Beinen von den Längsseiten auf die Mitte zu. Kurz bevor die Krauler zusammenzustoßen schienen, ploppte der Ball ins Wasser, wurde von einer Hand sofort herausgefischt und entzog sich der Betrachtung von unten. Was blieb, waren froschartig zappelnde Beine, bunte Badehosen und in Brusthöhe abgeschnittene Oberkörper. Als der Schiri-Torwart kräftig mit den Beinen stoßend versuchte, sich aus dem Wasser zu erheben, und kurz darauf der halbe Ball im Blickfeld auftauchte, war klar, daß die Spandauer in Führung gegangen waren.

Die unterschiedlichen Spielweisen beider Mannschaften lassen sich schnell beschreiben. Ein bedächtiger Aufbau der mit großem Auftrieb agierenden Schiris, bis sie den gegnerischen Strafraum umschlossen hatten, dann der konsequente Fehlwurf auf den plötzlich abtauchenden Center. Die unschuldslammig erhobenen Arme des Verteidigers. Der kurze Rückpaß zum Spandauer Torwart. Sofort danach die wie auf einer Linie um die Wette kraulenden Spandauer und der weite Paß vor das Schiri-Tor. Die Schiris hasten mit ihren Blicken hinterher und erreichen die Mitte des Beckens gerade rechtzeitig, um den Wiederanstoß nach gefallenem Tor korrekt auszuführen.

Ein Blick von unten in die Sturmmitte verrät weitere taktische Feinheiten. Da halten zwei kräftige Beine den Center der Schiris von hinten umschlossen. Der Versuch, sich mit Ellenbogenstößen zu revanchieren, scheitert am Pfiff des Unparteiischen. Durch Festhalten an den Badehosen der davonstürmenden Spandauer glauben die Schiris, das Tempo aus dem Spiel nehmen zu können. Bei einem weiteren Angriff versucht der Schiri-Center durch eine Beinklammer nach hinten der eigenen Umklammerung zuvorzukommen. Er wird von seinem Gegenspieler einfach mit dem Körper oder durch Abstoßen mit beiden Beinen unter Wasser gedrückt.

Die Unterlegenheit der Schiris über und unter Wasser drückte sich nach dem ersten Viertel denn auch zahlenmäßig recht drastisch aus. Sieben zu null ist die stolze Ausbeute der Spandauer. Aber die Schiris wären nicht die Schiris gewesen, wenn sie im zweiten Viertel nicht ihre langjährige Erfahrung einsetzen und mit einer neuen taktischen Variante hätten aufwarten können. Da es mit dem Centeranspiel und dem Zurückkommen der Stürmer danach nicht so recht klappt, hatte man sich entschlossen, die Tore einfach von der Mittellinie aus zu werfen. Die völlig verdutzten Spandauer gerieten ob solcher taktischen Finessen kurzfristig im zweiten Viertel sogar ins Hintertreffen, erklammerten aber am Ende noch ein klares 32:5. Peter Huth