: Italien dürstet nach Seelenbalsam
■ Heute findet im Turiner „Stadio delle Alpi“ das 23. Länderspiel zwischen Italien und Deutschland statt
Berlin (taz/dpa) — Als die italienische Nationalmannschaft im Sommer 1990 im Halbfinale der Weltmeisterschaft gegen Argentinien ausschied, ging ein Riß durch das Land. Der Teil, der nicht jener Massenpsychose namens Fußballbegeisterung verfallen war, atmete erleichtert auf und war heilfroh, daß der ganze Spuk endlich vorüber war, der Rest versank in tiefe Trauer und Depression. Beim Finale in Rom bekam Diego Maradona, den die Tifosi als Hauptschuldigen des Debakels entlarvt hatten, den geballten Frust der um den Titel geprellten Nation zu spüren, sein italienischer Mittäter, Trainer Azeglio Vicini, mußte leicht zeitversetzt den Hut nehmen, nachdem auch die Qualifikation für die Europameisterschaft versaubeutelt worden war, was in Italien allerdings schon niemanden mehr wunderte.
Mit Arrigo Sacchi sollte neuer Schwung für die WM 1994 geholt werden, und der erste gewichtige Schritt ist das Länderspiel gegen den Weltmeister, das endlich Balsam auf die gequälten italienischen Fußballseelen träufeln soll. Während Bundestrainer Berti Vogts nahe Ziele absteckt („Mit diesem Klassikerspiel eröffnen wir praktisch die EM“), beginnt für die Italiener im „Stadio delle Alpi“ die Weltmeisterschaft.
„Das ist kein normales Länderspiel. Die Italiener wollen uns zeigen, daß sie die Größten der Welt sind“, meint Thomas Häßler. „Die Italiener sind auf Revanche erpicht, weil sie sich als Nummer eins auf der Welt sehen, wir ihnen aber den WM- Titel weggeschnappt haben“, sagt Rudi Völler. „Sie fühlen sich als der wahre Weltmeister. Etwas Schöneres als einen Sieg gegen uns gibt es für sie nicht“, glaubt Thomas Doll.
So teilt die italienische Presse vor dem 23. Länderspiel zwischen Italien und Deutschland auch reichlich Seitenhiebe gegen den Rivalen aus dem Norden aus. Kaum ein Artikel vergißt darauf hinzuweisen, daß die meisten Spieler, die in Turin den Rasen betreten werden, in der „Liga nazionale“ ihrem Beruf nachgehen. Die Deutschen hätten das Fußballspielen ja erst in Italien gelernt, lautet der Tenor, eine Einschätzung, gegen die sich Lothar Matthäus im Namen seiner Mit-Lehrlinge verwahrt: „Wir sind keine Auswahlmannschaft der italienischen Liga.“
In die würden zumindest er und seine Kollegen von Inter Mailand derzeit auch gar nicht berufen werden, denn die Kritiken an Brehme, Klinsmann, Matthäus, aber auch an Rudi Völler waren in den letzten Wochen ziemlich harsch. Das Länderspiel bietet so auch den Deutschen eine Gelegenheit, etwas für ihr Prestige zu tun. „Mit einem Schlag könnten wir alle unsere Kritiker mundtot machen“, sagt Matthäus. Was nicht ganz stimmt, schließlich wirft die römische Presse Völler seit langem gerade vor, daß er im Nationalteam häufig das Tor trifft, beim AS Rom dagegen so gut wie nie.
Im italienischen Lager sorgt immer noch der Ausschluß von Gianluca Vialli für Wirbel. Der Stürmer war im Pokalspiel seines Klubs Sampdoria Genua gegen Parma nach einer Tätlichkeit vom Platz geflogen und vom Verbandspräsidenten Matarrese für das Länderspiel gesperrt worden. Eine „Dummheit“ habe er begangen, sagte Vialli, er akzeptiere die Entscheidung. Nach der Ausladung Viallis wird in Turin wohl nun der heimische Juventus-Angriff mit Roberto Baggio und Pierluigi Casiraghi zum Einsatz kommen, jenem Spieler, der inzwischen den WM- Helden Toto Schillaci auch bei Juve glatt in den Schatten stellt. Der 23jährige Casiraghi geniert sich keineswegs, von Viallis schwachen Nerven zu profitieren: „Ich akzeptiere jede Kapriole des Schicksals in Dankbarkeit zu Gott.“ Matti
Deutschland: Illgner - Binz - Helmer, Buchwald - Reuter, Häßler, Matthäus, Doll, Brehme (46. Minute Schulz) - Völler (46. Minute Klinsmann), Riedle
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