KOMMENTAR
: Das arabische Gesicht wahren

■ Libyen will die mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter an die Arabische Liga ausliefern

Für George Bush mag es ein Zufall sein, daß die beiden Mega-Schurken seines Weltbildes ausgerechnet zwei arabische Staatschefs sind. Aus der arabischen Perspektive sieht es aus, als ob Bush und mit ihm die westliche Welt es auf Muammar el-Gaddafi und Saddam Hussein abgesehen haben, gerade weil sie Araber sind. Der internationale (nichtarabische) Druck auf die Führungen Libyens und Iraks ließ die arabische Einheit zumindest einige Stunden lang näherrücken. Die Arabische Liga sprach sich am Montag geschlossen gegen sofortige UN-Sanktionen gegen Libyen aus. Der Syrer Hafis el-Assad und der Ägypter Husni Mubarak hatten zuvor entschieden gegen amerikanische und britische Pläne eines „begrenzten Militärschlags“ gegen Irak protestiert. Der Golfkriegskonsens zwischen den USA und ihren arabischen Verbündeten war damit endgültig dahin. Der Krieg wurde zwar mit der Unterstützung der meisten arabischen Regierungen, aber gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit der von ihnen beherrschten Bevölkerung geführt. Seit Kriegsende verstärkt sich in den Gassen der arabischen Städte der Eindruck, Entscheidungen über Krieg und Frieden im Nahen Osten würden über die arabischen Köpfe hinweg getroffen. Die jetzige Politik der USA und auch der UNO gilt als arrogante Einmischung in die eigenen Angelegenheiten. Die Erklärung Assads und Mubaraks sowie der Beschluß der Arabischen Liga drückten dieser arabischen Volksmeinung das offizielle Siegel auf.

Paradoxerweise kam diese kurzzeitige arabische Einigung ausgerechnet durch Drohungen gegen die beiden innerhalb der Liga wohl unbeliebtesten Araber zustande. Mubarak betrachtet Gaddafi bestenfalls als gefährlichen Clown, und Assad macht keinen Hehl aus seinem Haß gegen Saddam Hussein. Auch in der arabischen Bevölkerung sind die beiden Gewaltherrscher nicht hoch angesehen. Aber aus der arabischen Perspektive zielen die „Get Saddam“-Kampagne Bushs und die Sanktionsdrohungen gegen Libyen nicht auf den Irak und Libyen allein, sondern gelten als Teile eines Gesamtplanes zur Zerstörung der arabischen Identität. Daß die Präsidenten der USA und Großbritanniens Drohungen mit Sanktionen und Militärschlägen ausgerechnet als Wahlkampfstrategie einsetzen, stärkt unter der arabischen Bevölkerung den Glauben an westliche Werte und Demokratie gewiß nicht. Vielmehr unterstützen sie damit zwei Herrscher, für die westliche Demokratie ehedem eine unarabische Angelegenheit ist. Muammar el- Gaddafi wahrt durch die Auslieferung der mutmaßlichen Lockerbie-Attentäter an die Arabische Liga geschickt sein Gesicht. Wenn denn seine beiden Geheimdienstler tatsächlich die Bombe gelegt haben sollten, dann nur auf seinen Befehl. Aber an die Möglichkeit, Gaddafi selbst zur Rechenschaft zu ziehen, denkt zur Zeit nicht einmal George Bush. Der Libyer diene immerhin als Bollwerk gegen den maghrebinischen Islamismus, war dazu jüngst aus dem Weißen Haus zu hören. Thomas Dreger