Eine Delegationsreise in den Krieg

■ Drei Bremer waren in Türkisch-Kurdistan und erlebten Übergriffe des Militärs auf die kurdische Bevölkerung

Ein Opfer der MilitäraktionenFoto: Eberhardt Schultz

„Was da stattfindet ist Krieg, Bürgerkrieg.“ Uwe Helmke vom Vorstand der Bremer Grünen war gestern noch sichtlich erschüttert. Zusammen mit dem Rechtsanwalt Hans-Eberhard Schultz und Helmut Oppermann vom Verein kurdische solidarische Hilfe war er fünf Tage in Kurdistan. Die Bremer wurden Zeugen, wie die türkische Armee anläßlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz am vergangenen Samstag kurdische Männer, Frauen, Kinder und Alte schlug, mißhandelte, erschoß. Gestern erzählten sie ihre Erlebnisse vor der Presse.

Uwe Helmke erlebte das kurdische Newroz-Fest in Sirnak. Zusammen mit einem deutschen Fernsehteam war er in einem Krankenhaus, in das Verletzte und Tote eingeliefert wurden. „Aus den Krankenwagen haben die türkischen Soldaten die Fahrer herausgeholt und geschlagen, bis sie nicht mehr weiterfahren konnten, zwei Menschen sind dann im Auto gestorben“, erzählte Helmke. Die Stadt sei von Polizei und Armee umstellt gewesen, während das türkische Fernsehen berichtete, daß PKK-Einheiten die Stadt belagerten. „Die Gewalt der Türken richtete sich

nicht gegen die PKK (=kurdische Arbeiter-Partei, d. Red.), sondern gegen die Bevölkerung.“ Die Polizei habe alle Bewohner Sirnaks aufgefordert, ihre Waffen im Stadion der Stadt abzugeben, danach sei jedes Haus systematisch durchsucht worden. „Was da mit den Gefangenen gemacht wird, ist entsetzlich.“

Helmut Oppermann war in Cizre, einer kurdischen Stadt in Grenznähe zum Irak. Die zentrale Kundgebung zum Fest habe auf dem Friedhof stattgefunden. „Der Friedhof war von türkischen Panzern umstellt, und plötzlich wurde geschossen.“ Eine Frau aus der ehemaligen DDR, die ebenfalls Mitglied der Delegation war, habe in den Panzern Modelle der ehemaligen NVA (Nationale Volks-Armee) erkannt. Der deutsche Botschafter in der Türkei, Eickhoff, habe den Delegierten auf der Rückreise versichert, daß die Panzer noch von der DDR an die Türkei verkauft worden seien.

Eine abenteuerliche Konstruktion, wie der Anwalt Hans-Eberhard Schultz belegen konnte. Er zitierte aus dem Schreiben des deutschen Botschafters in Istanbul an die Abgeordneten des türkischen Parlaments aus November letzten Jahres. Darin lobt der Vertreter der Bundesrepublik in der Türkei die intensive „Waffenhilfe“ für die Türkei seitens der Bundesrepublik: Zwischen 1964 und November 1991 sind Waffen im Wert von insgesamt 6,25 Milliarden Mark geliefert worden. Dazu kommen noch einmal Waffenbestände der NVA im Wert von 1,5 Milliarden, die im letzten Dezember an den Nato-Partner geliefert wurden.

Schultz war am Wochenende in einem Krankenhaus in Diyabakir. Dort habe er mindestens 25 Schwerverletzte gesehen, darunter ein achtjähriges Mädchen und ein elfjähriger Junge „mit Schüssen in den Rücken.“ Außerdem hat Schultz in der kurdischen Stadt Nusaybin gesehen, wie ein türkischer Polizeipanzer in eine Gruppe von Demonstranten gefahren ist. Das Resultat: Drei Tote und sieben Verletzte. Schultz sprach weiter von einem „schleichenden Völkermord.“

In allen Städten hat die türkische Regierung Ultimaten zur Übergabe gestellt. „Wir müssen das schlimmste befürchten, die Städte sind den türkischen Sicherheitskräften schutzlos ausgeliefert“, sagte Helmke. „Das Ziel unserer Reise, die Eskalation der Gewalt durch internationale Öffentlchkeit zu vermeiden, haben wir nicht erreicht.“

Unterschiedlich beurteilen die drei die Perspektiven für Kurdistan. Während Schultz die sofortige Legalisierung der PKK als einziger Vertreterin der Kurden forderte (“Die PKK ist das kurdische Volk, das kurdische Volk ist die PKK“), will Helmke „Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien“. Für Helmut Oppermann ist der türkische Gewaltakt gegen Kurdistan ein „Fall für den UNO-Sicherheitsrat“. Außerdem soll der Bremer Senat weitere Delegationen nach Kurdistan schicken, um weiter Öffentlichkeit herzustellen. In einem waren sich alle drei Bremer einig: „Die Tatsache, daß ein Nato-Partner in dieser Weise Menschen unterdrückt, ist uns unerträglich.“ Markus Daschner

Heute, 20.00 Uhr findet eine Veranstaltung mit den drei Bremern über die aktuelle Lage in Kurdistan statt. Beginn ist 20.00 Uhr in der Angestelltenkammer