Waffenhilfe für die südliche Bündnisflanke

■ Seit 1964 rüstet die BRD die türkische Armee auf

Bundesaußenminister Genscher gab sich entsetzt: Mit Betroffenheit habe er zur Kenntnis nehmen müssen, daß Material der früheren Nationalen Volksarmee, das Bonn seinen Partnern in Ankara zur Verfügung gestellt hat, absprachewidrig im Kampf gegen die Kurden eingesetzt worden sei. Die Bundesregierung ziehe daraus die Konsequenzen und werde die Lieferung von Rüstungsmaterial an die Türkei erst einmal stoppen.

Alle Achtung, der Mensch ist konsequent. Kaum hat er in Sat.1 den Einsatz der Panzerwagen im türkisch-kurdischen Bürgerkrieg über den Bildschirm flimmern sehen, schon ist es mit dem Nachschub vorbei. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) wurden gestern mit sofortiger Wirkung alle weiteren geplanten Lieferungen früheren NVA- Materials gestoppt und auch die Nato-Verteidigungshilfe, die die Bundesregierung seit 1964 zur „Sicherstellung gefährdeter Flanken“ an die Türkei leistet, vorläufig ausgesetzt. Grundlage dieser Entscheidung sind, so AA-Sprecher Schuhmacher, „eindeutige Fernsehbilder“ und die Weigerung des türkischen Geschäftsträgers in Bonn, die Bundesregierung befriedigend aufzuklären. So sehr dieser Schritt zu begrüßen ist, Genscher hätte wahrlich nicht der Nachhilfe von Sat.1 bedurft, um zu wissen, daß die Türkei die an sie gelieferten Waffen vertragswidrig einsetzt. Laut Nato-Vertrag, der für die bilaterale Abmachung zur Lieferung der NVA- Schützenpanzer analog gilt, dürfen die Waffen nur im Nato-Verteidigungsfall eingesetzt werden. Daß dies weder im Moment, noch in früheren Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und kurdischen Guerillas der Fall war, wird von niemandem bestritten. Trotzdem ist längst bekannt, daß beispielsweise die brutalsten Anti-Terror- Kommandos der türkischen Jandarma im Rahmen der Nato-Ausbildungshilfe von GSG-9-Leuten trainiert wurden. Notorisch ist der Einsatz von Hubschraubern in den kurdischen Bergen, die unter anderem in Zusammenarbeit mit MBB produziert und aus der Nato-Hilfe bezahlt werden.

Innerhalb der Nato ist die Bundesregierung der größte ausländische Einzahler in den türkischen Verteidigungshaushalt. Auf Anfrage der PDS bezifferte die Bundesregierung die Höhe der Verteidigungs-, Rüstungs- und Materialhilfe, die seit 1980 an die Türkei geliefert wurden, mit 3,95 Milliarden Mark. Die Rüstungshilfe der BRD an die Türkei wird seit 1964 in sogenannten Tranchen abgewickelt, die eine unterschiedlich lange Laufzeit haben. Aktuell wird die 18. Tranche zwischen Bonn und Ankara verhandelt. Sie soll ein Volumen von 212 Millionen Mark haben und die kommenden drei Jahre abdecken. JG