: Ein schwerer Störfall im AKW Esenshamm...
■ ...und wie 320 Feuerwehrleute ihn wieder ausbaden / Katastrophenschutzübung in Jaderberg
Wenn der Feuerwehrmann strahlt, dann aber...
Im AKW Esensham ist es am 26.3.92 um 19.14 Uhr zu einem schweren Störfall gekommen. Planmäßig wurden die zuständigen Behörden unverzüglich unterrichtet. Die Bevölkerung im Landkreis Wesermarsch ist mittels Lautsprecher-, Rundfunk- und Fernsehdurchsagen erstmals am 27.3. um 6.30 Uhr zur Evakuierung aufgefordert worden. Am 28.3. um 6.00 Uhr ist es im Kernkraftwerk Unterweser zu einer einmaligen Freisetzung von radioaktivem Jod gekommen.
Der Ernstfall war am Samstag tatsächlich eingetreten — allerdings diesmal nur für 320 Feuerwehrleute, die zur Katastrophenschutzübung ins Schulzentrum des Örtchens Jaderberg, 25 Kilometer vom Atomkraftwerk Esenshamm entfernt, abkommandiert worden waren. Nach 14 Jahren AKW-Betrieb sollte dort unter diesem Szenarium zum ersten Mal eine sogenannte Notfallstation getestet werden.
Der Wind steht heute günstig. Deshalb geht Heiko Witte, Übungsleiter und oberster Katastrophenschützer des Landkreises, davon aus, daß sich in den knapp 35 Stunden, die vom Störfall bis zum Austritt der radioaktiven Wolke blieben, 90 Prozent der 34.000 in dem betroffenen Gebiet lebenden Menschen schon selbst evakuiert haben. „Trotz einigen schweren Verkehrsunfällen auf den Bundesstraßen sind keine nennenswerten Behinderungen eingetreten“, heißt es in der schriftlich fixierten
hier bitte das Foto
mit dem Feuerwehrmann,
der die Arme ausbreitet!
„Ausgangslage“.
„Es befinden sich also nur noch die Kreisfeuerwehrbereitschaft, Katastrophenschutzzüge und einige Bewohner in dem Gebiet,“ resümiert Witte. Und für genau diese Personen reicht denn auch die Kapazität der Jaderberger Notfallstation, in der laut Einsatzplanung 1.000 Personen in 24 Stunden „dekontaminiert“, d.h. geduscht, werden können.
16 AKW-Gegner, die am Samstag vor Ort gegen die Übung demonstrieren, finden das ziemlich lächerlich. „Diese Katastrophenschutzübung ist nichts weiter, als ein makabres Spiel mit dem Leben der Bevölkerung der Wesermarsch“, so Ingo Harms vom Oldenburger Energierat, „tatsächlich würde die meiste Radioaktivität direkt durch das Einatmen aufgenommen. Luft kann man aber nicht abduschen.“ So sieht es auch die Strahlenschutzkommission des Bundes. „Ein nicht unerheblicher Teil der freigesetzten radioaktiven Stoffe kann durch Inhalation in den Körper gelangen“, schreibt sie in ihren „Medizinischen Maßnahmen bei Kernkraftwerksunfällen“.
Doch Katastrophenschützer Witte und auch Jürgen Schlegel, Betriebsleiter des AKW Esenshamm, lassen sich von solchen Argumenten ihre Übung nicht miesmachen. Für sie steht fest: „Das Containment unseres Kraftwerkes würde auch im schlimmsten Fall radioaktive Stoffe für mindestens 36 Stunden zurückhalten.“ Eingeatmete, strahlende Stoffe müssen am Samstag aber auch aus einem ganz praktischen Grund unberücksichtigt bleiben: „Wir können hier keine durch Inhalation aufgenommene Radioaktivität messen und auch nichts dagegen tun“, gesteht Witte, „heute geht es nur darum, die Leistungsfähigkeit der Station zu testen.“
Und um die scheint es bestens zu stehen: Zuerst wird die Radioaktivität jedes neu eintreffenden Feuerwehrmanns gemessen. Die fiktiven Ergebnisse tragen die Testpersonen dann auf einer Begleitkarte um den Hals. Stark kontaminierte Fälle kommen sofort unter die Brause. Nur ihre Kleidung müssen sie vorher noch in Kunststoffsäcke packen.
Und so hüpfen 320 Feuerwehrleute in Badehosen zwischen lauter Helfern herum, deren Beweglichkeit durch Gasmaske, weißen Schutzanzug und Gummihandschuhe stark eingeschränkt ist. Nach der Dusche wird erneut gemessen. Nur diejenigen, die für sauber befunden werden, dürfen zur nächsten Station weiter, die anderen müssen sich gleich noch einmal waschen lassen. Dann gibt es frische Kleidung. Die Meßdaten und Einsatzorte der Verstrahlten werden in umfangreichen Formularen registriert. Am Ende steht eine strahlenmedizinische Beurteilung der Freiwilligen. „Ist ihnen schlecht oder haben sie rote Stellen auf der Haut?“, fragt der Arzt. Wer mit Ja antwortet, müßte sich eigentlich in stationäre Behandlung begeben. Doch wo es Plätze dafür gäbe, weiß der Arzt auch nicht so genau.
Die Feuerwehrleute sorgen sich derweil um Naheliegenderes: „Kriegen wir ein Bier, damit wir auch von innen sauber werden?“ Doch beim Anblick der mit Gasmasken ausstaffierten Helfer wird manchem auch etwas mulmig. „Im Ernstfall würde ich mir zweimal überlegen, ob ich zu einem Einsatz in ein stark verstrahltes Gebiet mitfahren würde“, meint Wolfgang Schwating von der Freiwilligen Feuerwehr. Auch die Helfer von der Johanniter Unfallhilfe, die den Betrieb der Notfallstation stützen, sind sich ihrer Einsatzbereitschaft nicht sicher. „Es ist bestimmt ein komisches Gefühl, wenn alle in die andere Richtung flüchten und man selbst sich dem Ort der Katastrophe nähert. Wenn ich noch nicht im Einsatz wäre, könnte es auch sein, daß ich abhauen würde“, überlegt Thorsten Albers. Hajo
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