Französische Polizei „köpft“ ETA

■ Führungsspitze der Organisation bei Bayonne verhaftet/ Innenminister in Paris und Madrid stolz auf Zusammenarbeit/ Angst vor Racheanschlägen in Spanien/ Hoffnung auf neuen Dialog mit der ETA

Madrid (taz) — Spaniens Staatsfeind Nummer eins ist der französischen Polizei ins Netz gegangen. Francisco Múgica Garmendia alias „Artapalo“ oder „Pakito“, der Chef der bewaffneten baskischen Separatistenorganisation ETA, wurde am Sonntag abend bei Bayonne zusammen mit zwei weiteren Spitzenmännern und sieben „einfachen“ Mitgliedern der Organisation festgenommen. Gestern folgten noch fünf Verhaftungen angeblicher Etarras in Spanien. Die Polizeiaktionen sind der bislang schwerste Schlag gegen die 1959 gegründete „Euskadi Ta Askatasuna“ (Baskisches Vaterland und Freiheit).

Eliteeinheiten der französischen Polizei hatten am Sonntag nachmittag das Landhaus in Bidart bei Bayonne umzingelt. Die dort tagende Führungsspitze der ETA war völlig überrascht und ergab sich kampflos. Nach Polizeiangaben diente das Treffen dazu, Attentate auf die Expo in Sevilla und die Olympiade in Barcelona vorzubereiten.

Die spanische Regierung ist heilfroh über den Schlag gegen die ETA, die seit einigen Monaten ihre Aktivitäten mit Anschlägen in ganz Spanien verstärkt hat. Wichtige Hinweise für den von Innenminister Corcuera als „brillant“ bezeichneten Einsatz hat die spanische Polizei offensichtlich einem Adreßbuch entnommen, das ein Etarra vor zwei Wochen in einer Telefonzelle hinterlassen haben soll. Zufrieden äußerte sich die spanische Regierung auch darüber, daß die französische Polizei diesmal so gut bei der ETA-Verfolgung mitgearbeitet habe. Hintergrund für die Zusammenarbeit ist ein französisch- spanisches Abkommen zur Terrorismusbekämpfung von 1987, das bei einem Treffen der beiden Innenminister während der Winterolympiade in Albertville erneuert wurde.

Múgica Garmendia (39) trat der ETA mit 17 Jahren bei. Seine Militanz begann mit Graffitis und dem Raub eines Fotokopierers aus dem Priesterseminar von San Sebastián in den frühen 70er Jahren. Nicht bewiesen ist, daß er auch an dem legendären Attentat auf Hugo Carrero Blanco im Jahr 1973 beteiligt war, das Francos zweiten Mann das Leben kostete. 1973 soll „Artapalo“ zum ersten Mal nach Frankreich geflohen sein, was er seither in wechselnden Verkleidungen ungezählte Male getan hat. Die ersten Attentate auf Menschen, die ihm heute zur Last gelegt werden, sind zwei Polizistenmorde aus dem Januar 1975. Das war der Beginn eines Aufstiegs, der ihn vor rund sechs Jahren an die Spitze der ETA führte.

Bei der Spaltung der ETA Mitte der 70er Jahre in „milis“ (militärischer Flügel) und „polimilis“ (politisch-militärischer Flügel) zählte „Artapalo“ zu jenen radikalen „milis“, denen auch Entführung und Mord in den eigenen Reihen vorgeworfen wird. „Artapalo“ soll die ETA streng militärisch geführt haben. Selbst in den eigenen Reihen wird er gelegentlich als „unpolitisch“ bezeichnet.

Der zweite Festgenommene, José María Arregui alias „Fitipaldi“, war der Sprengstoffexperte und Verantwortlicher für den logistischen Apparat der ETA. Er soll die Paketbomben sowie die in jüngster Zeit häufig angewandten Autobomben eingeführt haben. Der dritte, José Luis Santacristina (39) alias „Txelis“, ist der einzige Akademiker an der ETA- Spitze. Er gilt als „politisches Hirn“ und war zuständig für die internationalen Kontakte der Organisation. Er soll häufig in Frankreich und Deutschland gewesen sein.

Nachfolger für die Führung der ETA sind nicht in Sicht. Die Organisation wird in Spanien seit Sonntag als „kopflos“ dargestellt. Doch sind noch eine Reihe „historischer Etarras“ wie „Pelopincho“, „Inaki“ und „Txapu“ auf freiem Fuß.

Ein Führungsmitglied der im spanischen Parlament vertretenen ETA- nahen „Herri Batasuna“ (HB), Taslo Erkicia, erklärte gestern, mit den Festnahmen sei das Problem nicht gelöst, denn „es wird immer junge Basken geben, die sie ersetzen werden und den Kampf weiterführen“.

Nach „Artapalos“ Festnahme kam es im Baskenland stellenweise zu Demonstrationen. Vor allem aber reagierten Spanier aller Parteien erleichtert: Während Sozialisten und Konservative von einem „herausragenden“ und „historischen Ereignis“ sprachen, drückten gemäßigte baskische Nationalisten die Hoffnung aus, daß nun der harte Sektor der ETA ausgeschaltet werde und die dialogwilligen Kräfte zum Zuge kämen. Juan María Bandrés, Europaparlamentarier und Präsident der „Baskischen Linken“, erklärte, daß die Festnahme für die Mehrheit der baskischen Gesellschaft eine „gute Nachricht“ sei.

In Sevilla, wo das Jahr mit einem Attentat der ETA begann, ist die Skepsis geblieben. Aus Angst vor Racheakten von ETA-Kommandos wurden gestern die Sicherheitsmaßnahmen in der andalusischen Stadt, wo in drei Wochen die Expo startet, erheblich verstärkt. Dorothea Hahn