Russischer Föderationsvertrag signiert

Tatarstan, Inguschetien und Baschkirien weigerten sich weiterhin, das Vertragswerk zu unterzeichnen  ■ Aus Moskau Klaus-H. Donath

Altpräsident Gorbatschow stand einmal vor derselben Aufgabe: ein föderales multinationales Staatengebilde beisammenzuhalten, aber gleichzeitig dessen verkrustete innere Machtstrukturen neu zu arrangieren. Auch er versuchte es mit einem (Unions-)Vertrag. Das Experiment schlug fehl, das Reich zerfiel. Der Präsident verließ die Burg.

Rußlands Präsident Boris Jelzin, dem böse Propheten ein ähnliches Schicksal orakelten, gelang es nun, wenigstens 17 der 20 nichtrussischen Republiken auf dem Territorium der Russischen Föderation zur Unterzeichnung eines Föderationsvertrages zu bewegen. Er ist das Präludium zu einer großangelegten Verfassungsrevision, die der VI. Russische Volksdeputiertenkongreß nächste Woche in Angriff nehmen soll. Verläuft alles nach Plan, wird Rußland dann eine Verfassung nach westlichem Muster erhalten. Der gestern im Kreml unterschriebene Föderationsvertrag soll als fester Bestandteil in die neue Verfassung eingehen.

Anderthalb Jahre zogen sich die streckenweise äußerst zähen Verhandlungen um das neue Vertragswerk hin. Davon zeugten am Ende die ungewöhnlich heiteren und erleichterten Mienen der russischen Verhandlungspartner, die ihren Counterparts aus Udmurtien, Tuwa, dem sibirischen Jakutien oder dem Altai am liebsten um den Hals gefallen wären. Moskau beging daher auch das Fortbestehen des Restzarenreiches mit einem feierlichen Feuerwerk. Aber selbst diese Übereinkunft bereitet den Streitigkeiten mit der Zentrale noch lange kein Ende. Mit dem Zerfall der UdSSR wuchs auch das Selbstbewußtsein der zwanzig vormals „autonomen“ Republiken und 55 Bezirken und Kreisen.

Die Republik Tatarstan, dessen Nachbarrepublik Baschkirien und Inguschetien im nördlichen Kaukasus lehnten das Abkommen mit Moskau von vornherein ab. Dieser Vertrag ließe die Entscheidungsbefugnis weiterhin in Moskau, kritisierten ihre Vertreter. Eine Gewähr gegen einen erneuten Zugriff der Zentrale sehen sie nur in bilateralen Abkommen mit Rußland, das die Existenz ihrer staatlichen Eigenständigkeit damit anerkennen würde. Zudem böte sich die Chance, auch auf Besonderheiten der Republiken Rücksicht zu nehmen. Auch die Tschetschenische Republik, die einseitig ihre Unabhängigkeit von Rußland erklärt hatte, war erst gar nicht erschienen.

Tatarstan denkt dabei vornehmlich an die Verfügung über seine reichen Erdölvorkommen. Baschkortastan, das frühere Baschkirien, bemängelte zudem das im Vertrag vorgesehene Steuersystem. Es forderte das alleinige Recht, Steuern auszuheben. Was an die Zentrale abzuführen sei, müsse jährlich wieder neuer Verhandlungsgegenstand sein.

Trotz seiner Vorbehalte gegenüber Moskau will Baschkortastan Teil eines „einheitlichen und unteilbaren Rußlands“ bleiben, aber eben auf der Grundlage bilateraler Verpflichtungen. Außenpolitik und Außenhandel will es ebenfalls in Eigenregie durchführen. Mit Ausnahme der freiwillig an Moskau übertragenen Aufgaben. Baschkortastan genoß schon bisher das Privileg, 75 Prozent seiner Valutaeinnahmen selbst verwenden zu dürfen. Es besteht wie der Nachbar Tatarstan auf eine eigene Gesetzgebung und ein selbständiges Rechtswesen.

Kritik kam auch von russischer Seite. Der Petersburger Bürgermeister Sobtschak hielt seinem langen Weggefährten Jelzin vor, im Föderationsvertrag die gleichen Fehler wie sein Vorgänger Gorbatschow gemacht zu haben. Wieder sei der Kraft nationaler Gefühle nicht Rechnung getragen worden. Das sei längerfristig auch eine Gefahr für den Bestand der Russischen Föderation, klagte er. Nach zaristischem Vorbild plädierte Sobtschak für bilaterale Abkommen mit den einzelnen Ethnien, die ihre spezifischen Interessen widerspiegeln. Schon jetzt sei der neue Vertrag eine Farce, wenn die drei großen Republiken nicht daran teilnähmen. Zunächst herrscht große Freude im Kreml. Tauchen die ersten Forderungen aus Moskau auf, wird sich das Verhältnis trotz Vertrag erheblich eintrüben.