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INTERVIEWLogische Konsequenz einer verfehlten Politik

■ Elmar Schmähling, geschaßter Admiral der Bundeswehr, zu den Fehlern Stoltenbergs in der Verteidigungspolitik

taz: Herr Schmähling, worin sehen Sie die Hauptursachen für den Rücktritt?

Elmar Schmähling: Der Rücktritt, jetzt als Folge von Pannen deklariert, ist eigentlich die lange überfällige Konsequenz aus der Erkenntnis, daß der falsche Mann am falschen Ort gesessen hat. Stoltenberg war von Anfang an der am wenigsten geeignete Verteidigungsminister, den die Bundeswehr hatte. Stoltenberg war bei Amtsantritt bereits durch die Barschel-Affäre belastet und als Finanzminister gescheitert. Aus Sicht der Soldaten wurde ihnen ein Mann vorgesetzt, der keine Reputation mehr und ein entsprechend schlechtes Standing im Kabinett hatte — und das zu einer Zeit, als durch den Wandel im Ost-West-Verhältnis die Weichen für die Sicherheitspolitik gestellt und die Rolle der Bundeswehr neu definiert werden mußte.

Welche Möglichkeiten hätte denn aus Ihrer Sicht ein Mann mit Kompetenz und Fortune im Zuge des Zusammenbruchs der Roten Armee und der deutschen Vereinigung gehabt?

Er hätte die Chance gehabt, das zu tun, was Admiral Wellershoff auf der vorletzten Kommandeurstagung gesagt hat: Die Bundeswehr steht vor Änderungen, die einem Neuanfang gleichkommen. Diese Erkenntnis umzusetzen hätte für einen Minister bedeuten müssen, die Bundeswehr von Grund auf neu zu konzipieren und ihr eindeutige Vorgaben für die Zukunft zu machen.

Herr Stoltenberg wird ja für sich in Anspruch nehmen, genau das getan zu haben...

Aber er hat doch nichts dergleichen getan. Stoltenberg hat lediglich versucht, die Vorgaben aus den 2+4-Vereinbarungen — also eine Reduktion der Bundeswehr auf 370.000 Mann — umzusetzen. Diese Zahl von 370.000, die ja ein Zugeständnis an Gorbatschow war, ist doch in keiner Weise militärisch begründet worden — genauso willkürlich wie die vorherige Sollstärke von 500.000 Mann. Daraus ein schlüssiges Konzept zu machen wäre ja gerade die Aufgabe gewesen.

Aber ist es für einen bundesdeutschen Verteidigungsminister überhaupt möglich, unabhängig von der Nato die Ziele der Bundeswehr neu zu definieren? Sind nicht die Bündniszwänge dazu viel zu übermächtig, egal, wer gerade Verteidigungsminister ist?

Nein, diese Zwänge sind so eng nicht. Sie sehen das ja an der gegenwärtigen Diskussion. Wenn jetzt vorgeschlagen wird, ein Drittel der Bundeswehr zukünftig „out of area“, also außerhalb des Verantwortungsbereichs der Nato, einzusetzen, ist das ja auch ein Eingriff in die Bündnisstruktur. Da ist die Nato auch nicht gefragt worden.

Wie hätte denn Ihrer Meinung nach die Zielvorgabe für die Bundeswehr aussehen müssen?

Die Bundeswehr hätte als Verhandlungsmasse in das künftige europäische Sicherheitssystem eingebracht werden müssen, um gemeinsam mit den anderen Armeen der EG so umstrukturiert zu werden, daß damit dem Modell der „gegenseitigen Nichtangriffsfähigkeit“ — wie es ja auch Genscher lange propagiert hat — hätte entsprochen werden können.

Nachfolger Stoltenbergs soll der jetzige CDU- Generalsekretär Rühe werden. Erwarten Sie von Rühe eine wesentliche Änderung in der von Ihnen erhofften Richtung?

Nein, ich erwarte von Rühe überhaupt nichts Positives. Rühe ist bezüglich einer neuen Rolle der Bundeswehr weltweit eher einer der Scharfmacher. Er wird die Bundeswehr wahrscheinlich stärker als Stoltenberg, der ja selbst gar keine aktive Politik mehr gemacht hat, in Richtung auf „Krisenreaktionskräfte“ drängen und die Bundesrepublik auf weltweite Interventionen trimmen. Rühe will „Normalität“ im Sinne von deutscher Souveränität, um so nahe wie möglich an den Zustand der westalliierten Streitkräfte heranzukommen. Das halte ich für einen großen Fehler.

Sind denn aus Ihrer Sicht die Kommandeure der Bundeswehr bereit, eine expansive Politik mitzutragen?

Die Bundeswehrführung hat eine Politik des globalen Einsatzes längst übernommen. Das vor einiger Zeit bekanntgewordene Grundsatzpapier, in dem beispielsweise über die Sicherung der Rohstoffquellen als neue Aufgabe der Bundeswehr nachgedacht wurde, widerspiegelt da genau die Auffassung der Generäle und Admirale der Bundeswehr. Konteradmiral Meyer-Höper, der stellvertretende Flottenchef, hat mir erst kürzlich versichert, daß die Marine voll auf den zukünftigen weltweiten Einsatz setzt. Das einzige Problem, das die militärische Führungsspitze zur Zeit hat, ist, daß es keine verläßliche politische Entscheidung über diese Out-of-area-Einsätze gibt. Die Bundeswehr kann zur Zeit aus Sicht der Militärtechnokraten einfach schlecht planen.

Diese Probleme wird Herr Rühe wohl schneller beseitigen, als Stoltenberg es geschafft hätte?

Das nehme ich auch an. Rühe hat sicher mehr Durchsetzungsvermögen im Verteidigungsministerium, aber auch im Kabinett, als Stoltenberg das zuletzt hatte. Interview: Jürgen Gottschlich

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