Eisenhans und Overkill

■ Das Deutsche Historische Museum zeigt Plattnerarbeiten aus drei Jahrhunderten

Noch bevor die letzte Neonröhre im Foyer des Zeughauses Unter den Linden mit einem kurzen Klimpern anspringt, toben bereits aufgeregte Schulklassen durch die Halle. Heute findet die Geschichte vor Ort statt, die Lehrbücher bleiben daheim; selbst schuld, wer diesen Tag verschwänzt.

Schulausflug in die Welt der Ritter, deren Rüstungen im Deutschen Historischen Museum gezeigt werden. Eine freundliche Frau um die 35 erklärt gut ausgebildet, wie sich eine Axt in die Halsschlagader des Reiters bohrt; wie das Schwert den Arm oberhalb des Ellenbogens wuchtig abschlägt oder spitz ausgestreckt die Klinge in den halb geöffneten Mund fährt und zur Wange wieder hinausgleitet. Das ist Geschichte. Mit großen Augen starren die Kinder auf das rätselhafte Geschirr, das an der Rüstung um die Lenden baumelt, kichern über den stählernen Wulst, der sich zwischen den Schenkeln hervorwölbt. Der Lehrer sinniert über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation: »Gegen 1400 wurde ein Krieg mit ein paar hundert Mann geführt, um 1500 brauchte es schon einige tausend, ähnlich wurde im Ersten Weltkrieg Menschenleben verschwendet.« Doch da schlägt dem Autor dieser Zeilen ein anderer Gedanke in die Quere. Am Anfang des Rüstungswesens wird mit allerhand Eisen der Körper vor Schlägen, Hieben und Stichen geschützt, damit der Fürst sich »unverwundbar« wähnt. Mit dem Aufkommen durchschlagskräftiger Feuerwaffen wird das Stahlkleid abgeworfen, um statt Sicherheit Mobilität zu wahren. Dann werden die Mobile gepanzert, schließlich der Laserstrahl zum realgeschwinden Fingerzeig (ein bißchen wie der blitzewerfende Zeus) perfektioniert. Der Terminator hat sein Blechkostüm zuletzt unter der Haut.

Auf die paradoxe Entwicklung der Vervollkommnung der äußeren Bedingungen des Körpers im Krieg, bis hin zu dessen Aufhebung in Overkill und Anti-Ökonomie, antwortet die Ausstellung kaum. Sie zeigt vielmehr dessen ästhetische Komponenten. Der gotische Feldharnisch war üppig mit allerlei übereinander geschichtetem Blattwerk behängt, das dann später zugunsten filigraner Ziselierarbeiten verschwand; bis schließlich, der spanischen Mode des frühen 17. Jahrhunderts folgend, die einstmals bleischwere Stahlwäsche der Schlichtheit eines Gehrocks wich: Der 30jährige Krieg als Laufsteg des schlachtenden Edelmannes.

Doch so niedrig das blutige Geschäft selbst angesehen war (der Zeitgenosse Sebastian Franck empörte sich über die schändlichen Söldner, »dene ein kleyner gewin lieber dan die edel gab des lebens ist«), so hoch stand die Kunst des Plattnerhandwerks im Kurs. Immer wieder finden sich Darstellungen dieses Widerspruchs von moralischem Empfinden und der Bewunderung für das technisch Machbare. Man war Mitte des 16. Jahrhunderts bereits in der Lage, maßgeschneiderte Rüstungen zu formen, die Bewegungsfreiheit für jedes einzelne Gelenk ermöglichten, auch wenn sich ein vom Pferd geworfener Ritter nur unter Mühen wieder aufrichten konnte. Die im Museum nachgestellte Szene erinnert an die hilflose Stellung, in der Hirschkäfer oder Kellerasseln auf dem Rücken liegen. Gerade für die Darstellung des gefallenen Reiters haben die Ausstellungsmacher eine komplizierte Grundkonstruktion entwickeln lassen, die dem Blechkostüm die sonst übliche Plumpheit nehmen soll. Die Rüstungsteile sind über ein sorgfältig ausgeklügeltes Skelett gefügt worden, das die ursprüngliche Bewegungsfreiheit annähernd wiedergibt.

Im Gegensatz zur Eleganz der akribisch ausgeführten Rekonstruktion, sprechen die begleitenden Radierungen und Kupferstiche aus der Zeit des Mittelalters allesamt eine weitaus grobschlächtigere Sprache. Die Bildnisse der Turnierkämpfe oder Schlachten sind ein einziges Wirrwarr aus Lanzen, Schwertern, niederprasselnden Pfeilkaskaden und herumliegenden, niedergestreckten Leibern. Sie entsprechen kaum der imposanten Inszenierung, zu der die Rüstungen im dezenten Licht des Saales arrangiert wurden.

Manchmal wird man den Verdacht nicht los, daß das dunkle Mittelalter mit seiner Ritterpracht auf dem Kampffeld und den Folterkammern der Katakomben in Wirklichkeit unterschwellig zur lustvollen Erbauung dient; weniger für die halbwüchsigen Pennäler aus dem Geschichtsunterricht, sondern eher für den erfahrenen Fetischisten von Welt, dem Teile des Rüstzeugs aus privaten Kreisen bekannt sein dürften — nicht bloß als metallener Zierat. Harald Fricke

Eisenkleider im Deutschen Historischen Museum, bis zum 6. Juli