Studium ohne Abitur für DDR-Verfolgte?

■ Grüne wollen Wiedergutmachung für politisch Verfolgte an den Ostberliner Hochschulen/ Fonds für Nachholung von Abschlüssen

Mitte. Mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen zur Wiedergutmachung politischer Verfolgung an den Ostberliner Hochschulen will die Fraktion AL/ Bündnis 90 das Berliner Abgeordnetenhaus konfrontieren. Die wissenschaftspolitische Sprecherin, Marlis Dürkop, kündigte an, eine gesonderte Zulassungsregelung für diejenigen studierwilligen Menschen einzurichten, die wegen politischer Repression zu DDR-Zeiten entsprechende Bildungsabschlüsse nicht erlangen konnten. Grundlage dafür könnte der Paragraph 11 des Berliner Hochschulgesetzes sein, der eine vorläufige Immatrikulation etwa ohne Abitur ermöglicht.

Neben dieser parlamentarischen Initiative förderte eine Anhörung der Grünen und der Bürgerbewegung im Haus der Demokratie weitere Möglichkeiten echter Rehabilitierung zutage. So solle etwa politisch Verfolgten Vorrang bei der Einstellung an der Universität gewährt werden, schlug Ada Sasse vor. Die studentische Senatorin an der Humboldt- Universität (HUB) berichtete, daß sie in einer der nächsten Sitzungen des Akademischen Senates einen Dringlichkeitsantrag einbringen werde. Ein Mitglied des Personalrates der HUB sprach sich im Haus der Demokratie dafür aus, Stipendien für »das Nachholen von Abschlüssen« auszuschreiben. Das Geld solle aus einem eigens dafür einzurichtenden Fonds kommen.

Im Kern waren sich die etwa fünfzig TeilnehmerInnen der Anhörung einig: wissenschaftliche oder berufliche Biographien, die durch politische Verfolgung in DDR-Zeiten »geknickt« oder abgebrochen wurden, sind nicht durch den formellen Akt einer Rehabilitierungskommission zu heilen. »Rehabilitierung muß mit Wiedergutmachung verbunden sein«, faßte Rainer Eckert zusammen. Er ist Assistent am Historischen Institut der Humboldt-Uni und einer, der es wissen muß: 1972 war Eckert aus politischen Gründen vom Studium relegiert worden.

Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, wie weit sich berufliche »Behinderungen«, die an den DDR- Universitäten erlitten wurden, auswirken können. Drei exemplarisch von Betroffenen selbst geschilderte Lebensläufe reichten vom nichterlangten Abitur (Michael Beleites), über das abgebrochene Philosophiestudium (Carlo Jordan) bis hin zu dem gleichermaßen tragischen wie schillernden Fall eines Wolfgang Harich. Der Mitautor einer oppositionellen »Plattform«, die in den fünfziger Jahren den Marxismus-Leninismus »auf seine humanistischen und undogmatischen Gedankengänge zurückführen wollte«, gehört zu den »ausgetriebenen« Intellektuellen der DDR. 1957 verhaftet, saß er sieben Jahre im Gefängnis und »durfte« später Feuerbach-Ausgaben philologisch betreuen.

1990, im März, wurde Harichs Verurteilung kassiert, Brief und Bitte um Wiederanstellung an den damaligen Humboldt-Rektor Heinrich Fink blieben unbeantwortet, wie Harich schilderte. Über Vermittlung einer ehemaligen Kollegin erhielt Wolfgang Harich dann wenigstens an der Freien Universität die Möglichkeit, per Lehrauftrag an den Katheder zurückzukehren. Jedoch nur für ein Semester. Daß kein weiteres daraus wurde, ist nun nach Ansicht Harichs die Schuld des FU-Präsidenten Johann Gerlach.

Mechthild Günther, eine im Jahre 1972 ebenfalls verhaftete und von der Universität geworfene Studentin, wies auf den Zusammenhang von Rehabilitierung und Aufarbeitung hin. »Ich finde es selbstverständlich«, verlangte sie von den Mitgliedern der Humboldt-Universität, »daß die sich mit ihrer Vergangenheit befassen.« Die Rehabilitierungskommission könne dies nicht schaffen. An der HUB habe sie weder inhaltliche noch institutionelle Kompetenzen. Sie regte daher an, daß sich die Betroffenen »vernetzen« und selbst organisieren sollten. Warum dies so wichtig ist, zeigten Beiträge von Ada Sasse und Carlo Jordan. Die Senatorin beklagte, daß Zeitzeugen auch bei bekannten Fällen kaum zu finden seien. Jordan, selbst per »Logik«-Prüfung kalt relegiert, meinte: Viele haben nicht mehr den Mut und den Willen, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten. Dies dürfe nicht sein. cif