Verschleierung der Machtverhältnisse

■ Alice Schwarzer und Fatima Mernissi sowie weitere prominente arabische Feministinnen und Literatinnen diskutierten in Berlin über „Frauen im Konflikt zwischen Islam und Menschenrechten“

Berlin (taz) — Liegt es am Islam selbst oder nur an seinen fundamentalistischen Interpreten, daß im Iran und anderswo Frauen- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden? Eine prominente Runde arabischer Frauen versuchte vorgestern abend im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“, diese Fragen zu beantworten. Daß der Religionsstifter Mohammed progressiver als die heutigen islamischen Machthaber gewesen sei, darin waren sich die Podiumsdiskutantinnen durchaus einig. Einiger jedenfalls als das 800köpfige Publikum, das sich in ein feministisches und ein islamfreundliches Lager schied und wenig Hemmung hatte, gegenseitige Vorurteile und Projektionen auszuagieren. Ins Kreuzfeuer geriet dabei vor allem die Syrierin Ghayad Al Hashmy als einzige Verschleierte, auch Moderatorin Alice Schwarzer unterbrach sie ein ums andere Mal.

Mit einer Naivität, derer man auch progressive und liberale Christinnen bezichtigen kann, hatte sie die „eigentlichen“ Werte des Islam eingeklagt. Die grausame Steinigung einer angeblichen Ehebrecherin im Iran, wie sie im neuen 'Spiegel‘ geschildert wird, verstoße in vielem gegen das islamische Recht. Für Khalida Messaoudi, eine der exponiertesten Feministinnen Algeriens, begann die dramatische Entrechtung der Frauen nicht unter der Fuchtel der islamistischen FIS, sondern der FNL: „Unsere Situation war noch nie so schlecht wie in den letzten drei Jahren, seit dem Beginn des angeblichen Demokratisierung.“ Daß nun das Militär die Machtübernahme der FIS verhindert hat, mochte sie jedoch nicht nur bejubeln: „Trocknet eure Tränen“, befand sie statt dessen, „und überzeugt eure Regierungen, daß man eine minimale ökonomische Grundlage für die Demokratie braucht.“

Emily Nasrallah, aus dem Libanon stammende Schriftstellerin, empfand schon fast Neid auf die immer noch kampfesfähige Algerierin: „Seit 17 Jahren zerstört der Krieg unser Land, wir können unseren Willen gar nicht mehr ausdrücken.“ Islah Gade, Professorin der palästinensischen Universität Bir Zeit, hat angesichts der fehlenden palästinensischen Selbstbestimmung ein ähnliches Problem. Dennoch fand sie deutliche Worte gegenüber den Fundamentalisten in den eigenen Reihen, die sich der Frauen nur „politisch bedienen“, ohne ihnen eigene Rechte zu gewähren.

„Die Frage des Schleiers ist die Frage des Schweigens“, brachte die marokkanische Soziologieprofessorin Fatima Mernissi das Dilemma der islamischen Frauen auf den Punkt. „Ich respektiere die Schleiertragenden, aber ich denke, der Schleier versteckt meinen Mund, und ich muß doch sprechen können.“ Genauso wie der „despotische Marxismus“ wolle auch der „despotische Islam“ den „universellen Prozeß hin zur Individualisierung der Menschen stoppen“. Die progressiven Interpretationen des Islam seien deswegen systematisch „guillotiniert“ worden, aber im Golfkrieg sei auch ihr Glaube „an die universellen Werte des Westens“ verloren gegangen. Sie jedoch wolle auf ihre Rechte nicht verzichten und „vielleicht auch einen Staat leiten“, fügte sie charmant hinzu: „Ich bin vielleicht besser als Mubarak.“ Ute Scheub