Das vor-moderne Leben ist schwierig

■ Hinter dem Hochschulring existiert eine universitäre Kostprobe / Nur der Professor bleibt ihm treu

Ab-gesehen vom Fallturm 200 Meter weiter sind hier vormoderne Flechtbauweise und die einzelnen Phasen der Lehmbewerfung zu studieren Foto: Jörg Oberheide

Als die Universität Bremen den Gedanken eines fachübergreifenden Projektstudiums noch ernst nahm, damals, 1987, gab es ein ungewöhnliches Experiment auf dem Unigelände, hinter dem Hochschulring. StudentInnen aus verschiedenen Lehramt-Fachbereichen taten sich unter der Leitung des Historikers Jörg Schmidt zusammen, um ein vorindustrielles, „vormodernes Leben“ nicht nur zu erlesen, sondern zu erleben. Damals war es Frühsommer, die Luft mild, die Wiese grün, der Boden fruchtbar — beste Bedingungen scheinbar, um an ein Selbstversorger-Leben nach Art der früh-mittelalterlichen Bauern glauben zu können. Ein OIKOS sollte entstehen, eine kleine in sich geschlossenene Wirtschaft,

Lehm-haus

mit Strohdach

mit Hausbau, 3-Felder-Kultur und Kleintierhaltung. Zwei Personen sollten dort ziemlich autark leben können.

Fünf Jahre sind nach diesen Anfängen vergangen. Es ist Anfang April, naßkalt und windig. Am Hochschulring jagen die Autos vorbei, dahinter baggern unermüdlich Bagger. Vorne, wo das Ablaufkanalwasser schimmert, scheint tatsächlich eine strohgedeckte Hütte auf dem wüsten leeren Land zu stehen, mehr postmodern als vormodern... Wie dort über den sumpfigen Untergrund hinkommen? Einige Menschen sind bei der Hütte zu sehen und dann, im Näherkommen, eine Art Garten rund um die Hütte.

Professor Schmidt kommt und bietet eine Führung an. Das ist

kein einfaches Geschäft, denn es gibt entschieden mehr zu erklären als zu sehen. Wer zum Projekt „Vormodernes Leben“ herkommt, muß eigentlich selbst mit Hand anlegen. Drei Studenten zum Beispiel zimmern fachgerecht an einem Fachwerkhaus. Die Balken haben sie selbst besorgt, einer davon war mal ein Obstbaum in Jörg Schmidts Garten. Das Strohdachhaus dagegen exisitiert schon seit vielen Jahren. An ihr kann man die Flechtbauweise und die einzelnen Phasen der Lehmbewerfung studieren.

Auf den Frühbeeten hat eine Schulklasse Möhren und Lauch gesät. Noch sind sie von einem Drahtzaun geschützt, aber die nächsten Kinder werden einen Zaun aus Zweigen flechten, genauso, wie sie schon drüben an der Indianerstrohhütte mitgearbeitet haben.

Für die Schulklassen, die auf dem Gelände einen Tag oder, wenn ihre Lehrer es wagen, sogar eine Woche verbringen können, einschließlich einmaliger Übernachtung, ist das „Vormoderne Leben“ ein spannender Spaß. Sie können Löffel schnitzen und grobe Stoffe weben. Sie helfen beim Hausbau oder legen die Kräuterspirale an, deren eines Ende trockenen Boden enthalten muß, während das andere unter Wasser steht. Und Mittags gibt es ein Essen, das aus selbstgezogenem Gemüse und Hülsenfrüchten besteht, oder — bestehen könnte, denn ach, selbst wenn die Witterung nicht mehr so feindlich ist, Fasanen und Katzen haben sich bisher immer begierig über die Ernte hergemacht.

Im Gespräch mit dem Professor, in der Kälte, auf dem Hügelbeet, zwischen den Komposthaufen, vor dem Tonbrennofen, wird die vertrackte Sisyphosarbeitarbeitet deutlich, die das Projekt für alle diejenigen bedeutet, die nicht nur einen schnellen Besuch machen oder hier ihr Pädagogikpraktikum ableisten. Es läßt sich einfach keine Kontinuität herstellen. Von allen Seiten wird das Vormoderne Leben eingekreist; das Gelände steht ihm nur auf Widerruf zu. Erdaufschüttungen von nahen Bauarbeiten und der Abwassergraben: der imitierte traditionelle Ackerbau ist dem schon mehrfach zum Opfer gefallen. Und mit den wechselnden Studentenjahrgängen wechseln auch die Interessen. Gemeinsam ist den Bauten und Anpflanzungen eigentlich nur, daß sie in den Jahrhunderten und Jahrtausenden nach 1800 angesiedelt sind. Und daß Jörg Schmidt sie immer noch liebt und nicht aufgegeben hat. Für ihn überwiegt der pädagogische Aspekt des Unternehmens, die spielerisch-experimentelle Möglichkeit für Schulkinder und LehramtsstudentInnen, „Geschichte selbst zu machen“, auch wenn es dabei nicht immer historisch-kritisch zugeht. Für April und Mai, wenn das erste Grün gesproßt ist, haben sich schon neue Klassen angemeldet. Wer mit Geschichte experimentieren will, wird offen aufgenommen werden. Cornelia Kurth

Kontakt: Jörg Schmidt, 218-3109