Lesebrief(e)
: "Plampel auf Beutezug"

■ Betr.: 100 Tage Bremer Ampel, taz vom 21.3.

LESEBRIEF(E)

„Plampel auf Beutezug“

Betr.: 100 Tage Bremer Ampel, taz vom 21.3.

Ein einziges höherwertiges Argument gab es insbesondere für die Grünen, mit der völlig abgewirtschafteten SPD in Bremen eine Koalition einzugehen: Die moralische und materielle Korruption zu brechen, um wenigstens durch Ansätze alternativer politischer Kultur ein Argument für den Erhalt des kleinsten Bundeslands, ein Beweis für die Chance zur Vielfalt durch kleine organisatorische Einheiten zu liefern. Erreicht wurde das genaue Gegenteil: Die ersten Monate der Ampelkoalition haben sich zu einer derart veritablen Pleite ausgewachsen, daß nur noch die rascheste Auflösung des Bundeslands Bremen die spärlichen Reste Bremer Stadtkultur zu erhalten vermag.

In einer ganzen Serie von Pressekonferenzen versicherten Wedemeier, Fücks und Jäger, wie gut die Ampel funktioniere. Was da funktionierte, war aber einzig und allein der nunmehr zu dritt unternommene Beutezug auf Posten und Besoldungen: Grobecker auf den Sessel des LZB- Präsidenten, der gelernte Frühstücksdirektor Lahmann als Frühstücksdirektor nach Berlin, Schwandner als Doppelverdiener ins Ministerium für Realsatire - statt Politik Korruption, nur eben jetzt in allen Ampelfarben. Grob geschätzt 3,5 Millionen DM kosten allein die zwei Dutzend SenatorInnen und StaatsrätInnen pro Jahr, um eine Stadt zu verwalten, für die in jedem Flächenstaat ein Oberbürgermeister und 6 Dezernenten ausreichen. Die gibt es hier aber noch zusätzlich — in Bremerhaven.

Nach knapp vier Monaten, also eine gute Million Gehalt später, haben die Damen und Herren aber auch schon einiges vollbracht: Am Sielwalleck werden Kleinstdealer gejagt, und die Hollerlandbebauung ist modifiziert worden — die gemeinsamen Anstrengungen zur Erhöhung der Diäten für die Bürgerschaftsabgeordneten nicht zu vergessen.

Die Begehrlichkeit von Grünen und FDP, endlich selber an Posten und Pöstchen zu kommen, konserviert nicht nur die Abgehobenheit und den intellektuellen Notstand der politischen Klasse dieser Stadt - warum etwa sollte sich die Staatspartei SPD reformieren, wenn doch dank Koalition alles so weitergeht wie bisher? —, es wird auch der Eindruck vermittelt, selbst die verbal- radikalste Alternative werde sofort vom bläßlichen Mehltau des Karrierismus erstickt, sitzt man nur erst selber in der Regierung. Welchen Eindruck etwa bekommt ein Wähler der Grünen, wenn ihm von dieser Partei demonstriert wird, daß selbst die Meinung der eigenen Mitglieder nur dann etwas zählt, wenn sie den Vorturnern paßt? Wo bleibt auch nur ein Hauch von Moralität, wenn in bester politischer Winkeladvokaten-Manier die eindeutige Bestimmung der Grünen-Satzung, Mitglieder dürften keine Aufsichtsrats-Alimentationen annehmen, mit dem „Argument“, außer Kraft gesetzt wird, Trüpel und Fücks seien als Regierungsmitglieder ja keine Parteifunktionäre? Und all dies wird noch in gedrechseltem Kanzlei-Stil, der keine staatstragende Phrase ausläßt, von Mützelburg, Probst etc. gerechtfertigt.

Das Ergebnis wird im besten Fall die Verabschiedung der Bürger von der Politik, im schlechtesten, leider aber nicht unwahrscheinlichsten Fall die Hinwendung zu Gruppierungen sein, die als noch nicht korrumpiert erscheinen — die DVU läßt grüßen.

Als es in Bremen noch etwas zu verteilen gab, erwies sich das Aufeinanderhocken von kommunaler und Landesverwaltung manchmal als produktiv: Kleine und größere Initiativen konnten dank kurzer Wege oftmals zu rascherer Wirksamkeit gelangen, als dies in Flächenstaaten möglich gewesen wäre. Seit sich das geändert hat, wird überall gespart — nur nicht bei denen, die darüber zu befinden haben: Die Doppelverwaltung gerät zum verdoppelten Schmarotzertum.

Im Ansatz hat die vielbescholtene Kultur-Senatorin Trüpel schon eine - leider viel zu wenig beachtete — Lösung dieses Problems gefunden, die nur konsequent weitergetrieben werden muß: Wenn ihr Verzicht auf den Jugendbereich schon 14 Millionen für die hiesige Kultur bringt, wie glänzend wäre deren finanzielle Ausstattung, verzichtete Frau Trüpel auf jede Zuständigkeit? Und weiter: Welcher Geldsegen ergösse sich über Bremen, hätten wir gar keine Regierung mehr? Also, lieber Klaus, auf nach Bonn, Du hast noch drei Bundesrat-Stimmen zu verkaufen. Und der eine oder andere Posten in Hannover ließe sich auch noch herausholen, der Minister Krause könnte Dir für einen Einigungsvertrag mit Niedersachsen bestimmt manchen heißen Tip geben.

P.S.: Die Bremer Industrie übrigens ist schon weiter: Auf den Cornflakes-Packungen der hiesigen Kellogg's-Fabrik ist eine Deutschland-Karte mit den Grenzen der Bundesländer abgebildet — die beiden Fliegenschisse auf dem Gebiet Niedersachsens sind da bereits entfernt.

Till Schelz-Brandenburg