Verkehrspreis: »Autokalypse njet!«

■ Fahrradläden vergeben Verkehrspreis 1992/ Detaillierte Konzepte und demonstrative Aktionen können prämiert werden/ Keine Ideen von Berliner Initiativen/ Wanderausstellung geplant

Berlin. Wer jetzt Automobilsenator Haase in Ruhestand schicken und ein Verkehrskonzept vorlegen möchte, das mehr als Alibi-Kosmetik im Bereich von Bussen und Bahnen beinhaltet, hat beste Chancen, ausgezeichnet zu werden. Auch die zahlreichen Initiativen und Vereine, die sich gegen Innenstadtringe, Westtangenten und Tiergarten-Tunnel wehren, könnten prämiert werden — wenn sie sich bewerben.

»Autokalypse njet!« heißt der Verkehrspreis 1992, den der Verbund selbstverwalteter Fahrradbetriebe (VSF) in diesem Jahr vergeben wird. Mit den ausgesetzten 10.000 Mark sollen diejenigen belohnt und unterstützt werden, die »mit den Auswüchsen des heutigen Verkehrssystems nicht einverstanden sind und daran arbeiten, humanere Verkehrsideen umzusetzen«.

Verbände, Initiativen und auch Einzelpersonen können sich bewerben und ihre Projekte vorstellen — sofern sie die autogerechte Stadt verhindern und ein menschenwürdiges Straßenbild fördern wollen. Bei der weltweit größten Zweiradmesse, der Internationalen Fahrrad- und Motorrad-Ausstellung (IFMA) in Köln, wird der Preis im Oktober überreicht. Als der Preis vor zwei Jahren erstmalig vergeben wurde, bewarben sich rund 50 Gruppen und Einzelpersonen. Ausgezeichnet wurden eine Bamberger Bürgervereinigung, die den Bau einer Schnellstraße verhindert hatte, und die Initiatoren von witterungs- und diebstahlgeschützten Fahrradhäuschen in Hamburg.

Den Sonderpreis erhielt der Münchner Erfinder des »Car-Walking«: Über Autos, die auf dem Bürgersteig geparkt sind, klettert er schlichtweg drüber. Aus Berlin bewarben sich vor zwei Jahren lediglich die Bürgerinitiative Westtangente und die Umwelt Schatz Insel, die Seminare anbot. Letzteres war der Jury zuwenig, die Erfolge der beinahe legendären BI Westtangente waren schon älter und ohnehin weitreichend bekannt, so daß Berlin chancenlos war.

In diesem Jahr ist im VFS-Büro am Kreuzberger Paul-Lincke-Ufer 44a noch nicht eine Bewerbung aus Berlin eingegangen, obwohl rund 200 Einsendungen aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet werden. Bliebe es bei dieser ungewohnten Berliner Zurückhaltung, wäre wohl nicht nur die VFS-Geschäftsführerin Ulrike Saade enttäuscht, zumal das Büro erst kürzlich von Bremen an den Landwehrkanal verlegt wurde.

Der Kampf gegen die Aufhebung von Tempo 30, gegen Laster in der Innenstadt und für den öffentlichen Personennahverkehr bliebe auf die Stadt beschränkt, von Protesten gegen die Untertunnelung des Tiergartens und Haases tiefe Verneigung vor dem Auto erführe kaum jemand über die Stadtgrenzen hinaus.

Doch genau dazu soll der VFS- Verkehrspreis beitragen, der vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Grünen Liga, dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und zahlreichen Sponsoren unterstützt wird. Neben der Preisvergabe startet auf der IFMA eine Wanderausstellung, die die Ideen der Einsender präsentiert und Anregungen für Engagement vor Ort liefern wird: »Die Ausstellung soll Auskunft geben, mit welcher Entschlossenheit und Kreativität, aber auch mit welchem Sachverstand sich die neue Bürgerbewegung für eine bessere Verkehrspolitik einsetzt«, so der VFS in der Ausschreibung.

In dem Verbund sind mittlerweile rund hundert selbstverwaltete Fahrradläden der Bundesrepublik, ein Hersteller aus Bremen und ein Großhändler aus Aachen zusammengeschlossen, die Basisinitiativen unterstützen: »Für seine Mitglieder wäre es unredlich, gute Fahrräder anbieten zu wollen, sich aber keine Gedanken zu machen, unter welchen Bedingungen sie eingesetzt werden müssen.«

Noch bis zum 1. Mai haben die Berliner Zeit, sich beim VSF, Telefon 6121870, um den Verkehrspreis 1992 zu bewerben, den der Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes überreichen wird. Dieser gilt als qualifiziert für die Schirmherrschaft, weil er Autobahnen bei Nebel geschlossen und den Fahrern damit die Fähigkeit abgesprochen hat, den nötigen Sicherheitsabstand zu wahren. Christian Arns