: Sternwarte bedroht Rechte der Apache
Die Universität Arizona errichtet mit dem Arcetri Oberservatorium Florenz, dem Vatikan und dem Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie auf dem Mount Graham Radioteleskope. Indianer und Umweltschützer kämpfen um die „heilige Stätte“. ■ Von Silvia Sanides
„Dzil nchaa si'an“, „Großer sitzender Berg“, heißt Mount Graham in der Sprache der Apache. Er „sitzt“, dichtbewaldet und 3300 Meter hoch, in der Wüste des Bundesstaates Arizona. Die Apache behaupten, „dzil nchaa si'an“ sei ihnen heilig. Die Astronomen der Universität Arizona in Tucson bestreiten das, — ebenso wie das Max-Planck-Institut für Radioastronomie und der Vatikan. Die drei Verbündeten planen seit Anfang der achtziger Jahre, Radioteleskope auf dem Gipfel des Mount Graham zu errichten. Indianer und Umweltschützer wollen das verhindern.
Nicht nur die Apache, sondern auch Naturliebhaber betrachten Mount Graham als Kleinod. Wie eine „Galapagos Insel“ schwimmt der Berg im Wüstenmeer, schreibt der US-amerikanische Umwelthistoriker Paul Hirt. Auf ihm treffen sich Norden und Süden, vereinen sich die Klima- und Vegetationszonen von Mexiko bis Alaska. Als sich die Gletscher der letzten Eiszeit vor 11.000 Jahren zurückzogen, hinterließen sie auf Mount Graham eine Flora und Fauna, die heute nur in nördlicheren Gebieten auftritt. Die gestrandeten Arten haben sich seitdem getrennt von ihren eiszeitlichen Verwandten weiterentwickelt. Der Berg, so Hirt, gleicht einem „Museum der Evolution“ mit achtzehn einmaligen Tier- und Pflanzenarten und Unterarten. Siebzehn Tiere und Pflanzen stehen unter Naturschutz.
Eines der Tiere, das scheue Rothörnchen, hat es in den letzten Jahren zu einigem Ruhm gebracht. 1987 wurde es auf die Liste der gefährdeten Arten aufgenommen. Für die Sterngucker der Universität Arizona und ihre Vertragspartner kam die Entscheidung äußerst ungelegen. Das vom Aussterben bedrohte Tier geht gern dort auf Nahrungssuche, wo zukünftig Radioteleskope stehen sollen. Innenminister Manuel Lujan, zu dessen Aufgaben der Artenschutz gehört, hat unvorsichtigerweise für weitere Publizität gesorgt, als er öffentlich wissen wollte: „Müssen wir denn jede Unterart retten? Mir hat noch niemand den Unterschied zwischen einem roten, schwarzen und braunen Eichhörnchen erklärt“.
Die Universität Arizona begann um ihr Renommierprojekt zu bangen, zumal der Vatikan und das Max- Planck-Institut für Radioastronomie drohten abtrünnig zu werden, sollte sich die Genehmigungsprozedur noch lange hinziehen. Anstatt den langwierigen Weg durch die Umweltbehörden fortzusetzen, wandten sich Tucsons Astronomen direkt an die Gesetzgeber in Washington. Eine Millionen Dollar kostete die Lobby- Arbeit, die im August 1988 zum entscheidenden Sieg führte: Der Kongreß erteilte eine Sondergenehmigung für die erste Etappe des Radioteleskopenbaus auf Mount Graham. Dazu war es allerdings nicht mit rechten Dingen gekommen. Die Abgeordneten Arizonas hatten die Genehmigung in letzter Minute einem anderen zur Abstimmung anstehenden Gesetz angefügt. Der Kongreß verabschiedete das gesamte Gesetzespaket, ohne den Bau im einzelnen zu debattieren.
Dieses Schnellverfahren, protestieren die Umweltschützer seither, ist verfassungswidrig. Roger Featherstone von der Organisation „Greenfire“ betont, der Kongreß habe gegen „die wichtigsten amerikanischen Umweltgesetze“ verstoßen. Weder sei ein gründliches Umweltgutachten erstellt worden, noch sei der Schutz des Rothörnchens gemäß den Bestimmungen des Artenschutzgesetzes gesichert. Den Naturfreunden ist es bisher jedoch nicht gelungen, das Projekt durch eine Gerichtsentscheid zu stoppen.
Während sich die Gerichtsprozesse noch hinziehen, haben im letzten Herbst die Bauarbeiten auf dem Berg begonnen. Bäume wurden gefällt, Straßen gebaut und die Betonfundamente für die ersten Radioteleskope, — die des Max-Planck-Instituts und des Vatikans —, sind angeblich zu siebzig Prozent fertiggestellt. Zur Zeit schützt eine zwei Meter dicke Schneedecke den Berg vor weiteren Zugriffen. Die Astronomen haben es mit dem Bau jedoch so eilig, daß „der Schnee demnächst von der Bergspitze geräumt“ werden soll, damit die Arbeiten wieder beginnen können, vermutet Featherstone.
Ende April steht nämlich die nächste Gerichtsentscheidung über die Zukunft der Radioteleskope an. Diesmal geht es um den Einspruch der Apache-Indianer, der Bau verstoße gegen ihre Religionsfreiheit. Ein US-amerikanisches Gesetz schreibt vor, daß Gebiete, die den Indianern heilig sind, unversehrt bleiben müssen. Der Bau auf dem Mount Graham, so urteilte der Stammesrat der Apache, ist „Ausdruck einer groben Mißachtung und eine schwerwiegende Verletzung unserer überlieferten religiösen Überzeugungen“. Mount Graham beherbergt mehrere indianische Grabmale. Angeblich dient er Medizinmännern als Quelle von Kräutern und Mineralien. Und Gordon Kurtz, Kulturreferent an der Universität Arizona, entdeckte Dokumente, nach denen auf dem Berg „der indianische Geist ga'n entsteht und ruht“.
Weder Sit-ins noch Demos der nunmehr vereinten Umwelt-/Indianer-Front noch ein mehrere Stunden langes Trommelkonzert vor den Türen zum Rektorat im vergangenen Herbst hat die Astronomen von Tucson bisher zum Rückzug bewogen. Im Gegensatz zu anderen Sternforschern: Mehrere US-amerikanische Universitäten, die Nasa und Smithsonian-Institution sind in den letzten Jahre aus dem Projekt ausgestiegen. Letztere hat die Vorstudien für das Sternwartenprojekt gemacht und es als erstes wieder verlassen. Seine Begründung: „Die Universität von Arizona schadet mit ihrem Beharren auf dem Projekt dem Ansehen der Wissenschaft.“ Übrig bleiben die Universität Arizona und ihre Freunde aus Übersee: das Arcetri Observatorium von Florenz, der Vatikan und das Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. In einem Rundfunkinterview mit dem Sender Freies Berlin vom vergangenen Jahr begründet Institutsdirektor Peter Mezger das Festhalten an dem Projekt: „Wenn wir woanders hin ausweichen, beispielsweise auf den Mouna Kea in Hawaii, wird das für uns zu teuer.“ Außerdem glaubt er, daß die Umweltschützer die Apache für ihre Zwecke ausnutzen. Unverzichtbar wird das Unternehmen auch für den Vatikan, dessen Oberservatorium einhundert Jahre alt ist. Schon 1980 hatte die „Specolo Vaticana“ einen Teil ihrer Aktivitäten nach Tucson in Arizona verlegt, weil die Luftverschmutzung die Arbeiten behinderte. Trotzdem wollen die Apache- Indianer den Papst zum Verbündeten im Kampf gegen die Radioteleskope machen. Hat er doch vor Jahren bei einem Besuch in Arizona die Indianer aufgefordert, „ihre Kultur, ihre Sprache, Werte und Bräuche zu schützen und lebendig zu halten“.
Indianer und Umweltschützer haben ihre Kampagne gegen die Sternwarte jetzt auch nach Europa getragen. Robert Witzeman von der Umweltorganisation „Audubon Society“ ist der Ansicht, daß die Vertragspartner in Deutschland und Italien einseitig über die Kontroverse unterrichtet werden: „Die Universität Arizona zeigt ihnen nur die Bonbonseite, um sie bei der Stange zu halten.“ Daß in Bonn Wissenslücken über die Geschehen in Arizona bestehen, bestätigt ein Leserbrief des Max-Planck-Astronomen Nigel Keen an die 'Frankfurter Rundschau‘ (18. September 1991). Es war „immer klar“, heißt es dort zu Mount Graham, „daß es sich nicht um einen heiligen Berg der Apache handelt — es gibt noch nicht einmal einen indianischen Namen für den Berg!“
Ganz anders sieht das die US- amerikanische Anthropologin Elizabeth Brandt von der Universität Arizona. Es gibt nicht nur den indianische Namen, seit dem vergangenen Herbst häufen sich die Hinweise, daß „Dzil nchaa si'an“ den Apache tatsächlich heilig ist. Dazu die Anthropologin: „Heilige Stätten lassen sich schwer nachweisen... Aber ich habe zwanzig Jahre auf dem Gebiet gearbeitet und niemals so viele Hinweise auf eine heilige Stätte (wie Mount Graham) gesehen. Keinem kompetenten Gelehrten hätte das entgehen können.“ Es entging jedoch den Astronomen der Universität, die noch immer behaupten, Mount Graham habe für die Indianer keine religiöse Bedeutung. Die Apache, so ihre Sicht der Dinge, ließen sich lediglich von den Umweltschützern für ihre Belange einspannen. Daß der Mount Graham eine heilige Stätte ist, bekräftigt auch die 60jährige Ola Cassadore Davis, Leiterin der „Apache survival coalition“ in Tuscon: „Meine Vorfahren haben dort religiöse Zeremonien durchgeführt.“
Auch über den Zustand des gefährdeten Rothörnchens scheint man im Max-Planck-Institut nicht informiert zu sein. „Seit Baubeginn“, schreibt Keen, „haben Zählungen bestätigt, daß es keine ökologische Katastrophe auf dem Berg gibt.“ Doch die Zahl der Rothörnchen ist seit 1988 von 280 auf 140 zurückgegangen. Dem widerspricht der Bonner Max-Planck-Direktor Mezger: „Dank eines Programms zur Erhaltung der Rothörnchen ist ihre Zahl wieder gestiegen.“ Wahrscheinlich, pflicht Witzeman bei, ist dafür nicht in erster Linie der Sternwartenbau, sondern die geringe Tannenzapfenausbeute der letzten Jahre verantwortlich. Dies bestätigt nur, — eine weitere Einschränkung seines Lebensraums würde das Tier kaum überleben. Doch der Bau der Sternwarte wird vermutlich ein Viertel der 240 Hektar Urwald, die auf dem Gipfel verbleiben, beeinträchtigen.
Umweltschützer und Indianer hoffen nun auf eine positive Gerichtsentscheidung im April oder einen Rücktritt der europäischen Vertragspartner. Die Universität Arizona, meint Featherstone, hat sich so in das Projekt verbissen, daß ein freiwilliger Rückzug kaum noch möglich ist: „Da hängen inzwischen einige Karrieren dran.“ Die deutschen Astronomen haben dagegen wenig zu verlieren. Das Max-Planck-Teleskop könnte beispielsweise auf dem ebenfalls in Arizona gelegenen „Mount Lemon“ errichtet werden, wo es zusammengebaut und getestet wird. Noch Anfang der achtziger Jahre hatte die Universität Arizona Mount Lemon als alternativen Standort für den Sternwartenbau genannt. Da das Projekt jetzt wackelt, könnte der Ausstieg eines weiteren Partners das gesamte Vorhaben „wie ein Kartenhaus“ in sich zusammenfallen lassen, vermutet Witzeman. Er betont, namhafte US-amerikanische Universitäten und Institutionen „wollten mit der Sternwarte nichts mehr zu tun haben, nachdem sich das Vorhaben als Menschenrechts- und Umweltskandal entpuppte“.
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