GASTKOMMENTAR
: Vom Wachhund zum Partner

■ Über neue Qualitäten im deutsch-türkischen Verhältnis

Die Parole von der deutsch-türkischen Freundschaft wurde in den letzten Tagen oft bemüht, so auch vom Kanzler in seiner gestrigen Bundestagsrede. In den Deutschlandtürken will der Kanzler eine Brücke zwischen den beiden Ländern sehen. Doch auch der Türkei ist es nicht entgangen, daß Leben und Eigentum ihrer Bürger in Deutschland nicht mehr uneingeschränkt geschützt sind und daß die Bundesregierung nicht viel tut, um die Fremdenfeindlichkeit im eigenen Land einzudämmen. Viele Türken fragen sich, ob man ihrer Germanophilie mit Turkophobie begegnet.

In den achtziger Jahren war die Türkei Schauplatz eklatanter Menschenrechtsverletzungen. Deutschland stand der Türkei mit Material und Wissen zur Seite, als Menschen, Türken wie Kurden, willkürlich verhaftet und gefoltert wurden. Ist es nicht verwunderlich, daß der Zorn der deutschen Außenpolitik jetzt gerade eine türkische Regierung trifft, die zum ersten Mal in der jüngsten türkischen Geschichte eine Regierung des nationalen Konsens darstellt, bestehend aus Konservativen und Sozialdemokraten? Hat die deutsche Regierung etwa die Liberalisierungspolitik der Regierung Demirel unterstützt, wie der Kanzler in seiner Rede behauptet? Hat man überhaupt wahrgenommen, daß Foltergefängnisse geschlossen wurden? Daß wieder kurdische Tageszeitungen erscheinen? Natürlich ist das alles nur ein Anfang auf dem Weg zum Rechtsstaat. Die deutsche Regierung aber hat sich mit ihrer ungewöhnlich scharfen und einseitigen Verurteilung der Türkei offensichtlich international isoliert und sucht jetzt moderatere Töne.

Die deutsche Außenpolitik insgesamt scheint aus den Fugen zu geraten. Um Souveränität zu demonstrieren, maßregelt Kohl den jüdischen Weltkongreß. Deutschlands Partnern entgeht nicht, daß deutsche Politik im Osten darauf abzielt, größere Staatengebilde in kleine kaum lebensfähige Einheiten aufzulösen. Deutschland will nach Osten hin dominieren, und das einzige Land, das längerfristig in dieser Region Konkurrent sein könnte, ist die Türkei. Der Verlust von Bauaufträgen in Rußland an türkische Firmen hatte Signalwirkung.

Der Kanzler hat in seiner Rede betont, daß wirtschaftliche Stabilität und demokratische Verhältnisse in der Türkei für die Region von großer Bedeutung sind. Gewöhnen muß man sich hierzulande dann aber auch an einen selbstbewußteren Partner Türkei, der der Rolle eines Wachhundes an der Nato-Flanke entwachsen ist. Zafer Șenocak

Der Autor ist Mitherausgeber der Kulturzeitschrift 'Sirene‘.