Frankreich: Eine Regierung ohne Schonfrist

Drei Tage lang überlegte Staatspräsident Mitterrand, bis er den Namen des neuen Regierungschefs ausspuckte: Pierre Bérégovoy/ Vergeblich umwarben die Sozialisten potentielle Bündnispartner: Vor allem die Öko-Politiker winkten ab  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Kein Premierminister könne die verzweifelte Lage der Sozialistischen Partei (PS) in nur einem Jahr wenden, lautete das Argument, mit dem Jacques Delors den Umzug von der Brüsseler EG-Kommission ins Pariser Hotel Matignon ablehnte. Pierre Bérégovoy will das Gegenteil beweisen. Seit gestern hat er freie Bahn. Nach dreitägigem Zögern ernannte Präsident Mitterrand ihn zum Nachfolger von Edith Cresson.

Die neue Regierung hat keine Schonfrist, sie darf sich keinen einzigen Fehler leisten, wenn sie ihre Hauptaufgabe erfüllen will: Sie soll die in alle Richtungen zerstreuten ehemaligen Anhänger der PS zurückerobern, damit Mitterrand bei den Parlamentswahlen in einem Jahr eine neue Mehrheit erhalten kann und seine erst 1995 zu Ende gehende Amtszeit nicht mit einer gegnerischen Regierung beenden muß. Konkret heißt das: Bérégovoy muß die Alltagssorgen der Franzosen angehen. Unmittelbar nach seiner Ernennung kündigte er an, daß er der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Priorität einräumen will. Darüber hinaus muß er die Lage der Niedrigverdiener bessern, die sozialen Probleme in den verlotternden Vorstädten lösen. Das Bildungssystem, die Renten- und Sozialversicherung müssen ebenfalls stabilisiert werden. Zur Ratifizierung der EG-Verträge steht eine Verfassungsreform an.

Um den Niedergang der Sozialisten zu bremsen, muß die Regierung zudem neue politische Bündnispartner gewinnen. Die jüngsten Wahlen haben die Zersplitterung der Parteienlandschaft besiegelt. Schon seit 1988 hat die Regierungspartei keine Mehrheit in der Nationalversammlung; ihre Gesetze kann sie nur durchbringen, wenn sich Kommunisten oder Zentristen enthalten. Die Kommunisten reagierten äußerst mißtrauisch auf den neuen Regierungschef. Sie kündigten an, sie würden Bérégovoy nicht unterstützen. Die Gewerkschaften wollen Druck machen, damit Bérégovoy von seiner Sparpolitik abrücke.

Neue Partner könnte die PS allenfalls bei den Öko-Parteien finden. Nach der Demission des Umweltministers und Parteichefs von „Generation Ökologie“, Brice Lalonde, bleibt nur noch eine Annäherung an die Grünen, „Les Verts“, denkbar. Deren Chef Antoine Waechter erteilte der neuen Regierung jedoch ebenfalls eine Abfuhr. Er lehnte eine Regierungsbeteiligung seiner Partei ab: „Die Ernennung von Bérégovoy vergewissert nur die Finanzkreise, nicht aber die Wähler, die auf eine Erneuerung hoffen. Die Zeit ist für uns noch nicht reif.“ Wie schon bei den vorhergehenden Regierungen verstehe Mitterrand unter Öffnung lediglich ein Zugehen auf einzelne Personen, er lasse aber kein neues Denken zu. Außerdem habe er einen konkreten Koalitionsvertrag abgelehnt, Bedingung der Grünen für eine Regierungsbeteiligung. Ein grüner Politiker meinte nüchtern: „Wir steigen doch nicht in einen Krankenwagen ein.“

Der neue Premierminister versprach dennoch, er werde eine neue und junge Regierungsmannschaft zusammenstellen. Das entspricht auch dem Votum der Franzosen, die bei den Regional- und Kantonalwahlen vielen alteingesessenen Politikern eine Abfuhr erteilten. Heute sind in Frankreich eher parteiferne Politiker wie Bernard Tapie oder der bisherige Staatssekretär für humanitäre Aktionen, Bernard Kouchner, populär. Bérégovoy selbst steht für Kontinuität und Seriosität, bei jungen Leuten sowie bei Angestellten und Arbeitern kommt er überhaupt nicht an. Deshalb muß sein Kabinett einen jungen und unverbrauchten Anstrich erhalten. Vor allem der Name Tapie zirkuliert. Bei den Wahlen in Südfrankreich hatte er besser abgeschnitten als die PS im nationalen Durchschnitt; im Wahlkampf verglich er „Pierre“ liebevoll mit seinem Vater, da dürfte seinem Einzug in die Regierung jetzt wohl nichts mehr im Weg stehen.