Waffen als Tauchattraktion

■ Istrien sehnt sich nach touristischem Alltag und vor allem nach ausgebuchten Hotelbetten. Gerd Schumann berichtet über die angestrengte Suche nach Ruhe und Normalität an der kroatischen Adriaküste.

Istrien sehnt sich nach touristischem Alltag und vor allem nach ausgebuchten Hotelbetten.

GERD SCHUMANN berichtet über die angestrengte Suche nach Ruhe und Normalität an der kroatischen Adriaküste.

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strien, die karstige Halbinsel im neuen Länderdreieck Kroatien-Slowenien-Italien, will nicht länger Hinterland sein. Peu à peu und ohne den Lärm detonierender Granaten hatte sich im Vorsommer 1991 der jugoslawische Krieg wie ein unheilbringender Schatten auf das Leben am Meer gelegt. Sandsäcke vor der ehemaligen Boutique „Queen Mary“ und „Ulica Massala Tita“ erzählen noch immer von der Angst vor Bomber- und Marineangriffen in Opatija, dem noblen Adriazentrum Nordkroatiens mit seiner klotzigen K.u.k.-Hotelkulisse. In der werden seitdem ungewöhnliche Gäste beherbergt.

Die Gesichtsmuskulatur des Mannes ist außer Kontrolle. Sein rechtes Auge liegt etwas schief. Dr. Matovinović führt den 31jährigen über braunen Linoleumbelag, will zeigen, wie fit sein Lieblingspatient schon wieder ist. Der hatte bei Gospić im Herbst einen Kopfschuß erhalten. Unter sichtlichen Anstrengungen erzählt Paone Evitza, daß er zu einer Antiterroreinheit der kroatischen Polizei gehört habe. Dr. Matovinović leitet die orthopädische Spezialklinik in Lovran, die vor 100 Jahren als feudales „Hotel Excelsior“ eröffnet wurde, und erläutert: „Er sollte das Terrain von Scharfschützen säubern.“ Das tat er, bis ihm das Sniper- Geschoß ein Loch in den Kopf riß. Damir Matovinović ist stolz: Mittlerweile könne sein schwerster Fall sogar Besuch von Frau und fünfjähriger Tochter empfangen. Zudem wird Paone Evitza demnächst wieder Vater. Lachen kann er nicht mehr, seine starren Gesichtszüge allenfalls zur Grimasse verzerren. Mit schrägen Schultern und merkwürdig steifen Bewegungen, die an den Schaukelgang von spastischen Menschen erinnern, schlurft er durch den Korridor zurück zu seinem Zimmer mit exklusivem Meeresblick.

Derweil wartet ganz Istrien an der Schwelle vom milden Winter zum noch milderen Frühling auf den touristischen Aufschwung. Seit Kriegsbeginn blieben die Fremden aus Italien, Österreich, Deutschland, England und Jugoslawien und damit das Geschäft aus. Andere Fremde zogen ein und mit ihnen das Elend. Das Touristenparadies wurde zu einem Flüchtlingslager. 8.500 Menschen aus Vukovar, Osijek und Ilok belegen derzeit die Drei-Sterne-Hotels. „In zwanzig bis dreißig Tagen ist Schluß damit“, sagt Daroslav Ciković, 57jähriger Gemeindepräsident von Opatija. Der Christdemokrat steht einem Parlament aus 64 Abgeordneten seiner Partei sowie der SDP vor — der sozialistisch-demokratischen Weiterentwicklung des ehemaligen „Bundes der Kommunisten“. Die in Zagreb mit absoluter Mehrheit regierende Kroatenpartei HDZ von Präsident Tudjman fiel an der Küste durch. In Opatijas Nachbarstadt Rijeka, mit 200.000 Einwohnern Großstadt und zugleich Hafenmetropole an der dalmatischen Adriaküste, stellt die SDP sogar den Bürgermeister. Vielleicht wird die HDZ wegen ihres strengen Nationalismus in der traditionell eher weltoffenen, von Handel und Fremdenverkehr geprägten Region abgelehnt.

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strien liegt dem italienischen Trieste nicht nur geographisch näher als Zagreb, auch historisch ist die Region illyrisch, österreichisch- ungarisch, italienisch und jugoslawisch geprägt. Bestandteil Kroatiens war Istrien lediglich bis 1901, und das auch nur für einige Dutzend Jahre, dann ab 1945 innerhalb Jugoslawiens und schließlich seit April 1990 mit Gründung eines kroatischen Staates. Politisch haben sich die Istrier zumeist der jeweiligen Fremdherrschaft untergeordnet — und ihre Geschäfte gemacht.

Auch heute wird gerechnet. „800 Flüchtlinge weniger in dieser Woche“, erklärt Opatijas Gemeindepräsident, „dann wären wir bei 7.700.“ Er geht davon aus, daß letztendlich 3.000 Flüchtlinge in der Region bleiben werden. Alle anderen kehren entweder in ihre Heimatorte zurück, werden andernorts in Wohncontainern angesiedelt oder landen in einer der vielen leerstehenden Kasernen. Allein in Pula, dem ehemals jugoslawischen Marinehafen an der Spitze der istrischen Halbinsel, gebe es davon fünf, erzählt Gemeindepräsident Ciković.

Die Zeit drängt. Auch wenn Politiker die „hervorragende Hilfsbereitschaft“ der Bevölkerung loben, die Solidarität hat ihre Grenzen. Unmut macht sich breit. Noch verhindert nur der Krieg soziale Unruhen. Das Durchschnittseinkommen ist auf umgerechnet 100 Mark geschrumpft — es war schon zehn- bis zwanzigmal höher. Mit der touristischen Saison hofft man auf die wichtigste Einnahmequelle. Die Zugereisten gelten als Störfaktor. Spannungen zwischen Einheimischen und Zugereisten sind schwer zu verhindern.

„Ja, es kam zu einer zugespitzten Situation“, gesteht Direktor Livio Radetić vom Hotel „Marina“ in Moscenicka Draga. Das idyllische Fischerdorf mit seinen 723 EinwohnerInnen wächst in normalen Sommerzeiten um 1.200 zahlungskräftige Fremde an. Jetzt sind allein im „Marina“ 400 Gäste untergebracht, die ausschließlich Unkosten bringen. Sie stammen überwiegend aus Ilok, einem direkt an der Grenze zum serbischen Teil Rest-Jugoslawiens gelegenen Ort, der lange Zeit umkämpft war. Der 61jährige Beljo Vinko gehört zu ihnen. Und Marija Lubić, 33, deren Mann irgendwo an der Front ist. Beide mögen sich zum Konflikt mit dem Hotelmanagement nicht äußern. Direktor Radetić gesteht einlenkend zu, daß die physische und psychische Verfassung der Flüchtlinge zu berücksichtigen sei. Außerdem habe sich die Lage zwischenzeitlich entspannt. Alles sei schon wieder in bester Ordnung.

Ist es nicht. Vor Weihnachten spitzte sich der Konflikt zu, als der Direktor einige hundert Flüchtlinge, die ihn absetzen wollten, zu beschwichtigen suchte. Die Leute aus Ilok, so wird erzählt, hätten das Hotel in eigene Regie überführen wollen. Enteignung, im Klartext. Ihre Argumentation: Wir in Slawonien haben wesentlich mehr erwirtschaftet als ihr hier an der Küste. Folglich gehört das Hotel uns. Was in der gesamtjugoslawischen Tragödie ökonomisch mit der Nord-Süd-Geschichte vom reichen Slowenien und Kroatien begann, von denen „der Rest“ Jugoslawiens mehr oder weniger lebe, setzt sich im neuen kroatischen Nationalstaat fort. Schon entstehen separatistische Parteien, die für ein autonomes Istrien eintreten.

„Demnächst werde ich mir einen italienischen Paß holen“, freut sich nicht nur Ana Benas aus Draga. Sie kann wie alle vor 1947 Geborenen zukünftig gleichzeitig Italienerin und Kroatin werden. Sowieso ist die italienische Sprache in Istrien traditionell stark verankert und wird außer Serbokroatisch am häufigsten gesprochen. Noch — denn das Serbokroatische soll verschwinden, wobei der Dogmatismus, mit dem Zagreb aktuell auf die Wiedereinführung des Kroatischen drängt, vielen nicht gefällt: Das sei so, als würden mittel- oder althochdeutsche Begriffe in die deutsche Sprache reintegriert. Und erste Stimmen werden laut, nach denen die istrische Ziege aus dem kroatischen Wappen zu den italienischen Farben wechseln sollte.

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uch Ivan Matacin ist für engere Bindungen nach Norden. Dem Chef von insgesamt 47 „Liburnia Rivera Hotels“ interessiert dabei ausschließlich, wie er Gäste gewinnen kann. So möchte er nicht nur einen Autobahnkorridor ohne lästige slowenische Grenzkontrollen zwischen Triest und Rijeka einrichten — „wie damals nach Berlin“ —, sondern auch den letzten Schritt zur Privatisierung der Hotelkette machen. Aktien sollen schon bald international angeboten werden. Er hofft auf 40prozentige Auslastung noch in diesem Jahr und dabei vor allem auf Individualtouristen. Spezialisierung sei angesagt. Er könne sich durchaus vorstellen, daß zum Beispiel viele Taucher kämen, die vor der langen Küste im glasklaren Wasser nach versenkten Waffen und Militärgerät suchen wollen — die untergegangene Jugo-Marine als Attraktion.

Ob die individuellen Waffenfans Kroatien als neues Reiseziel entdecken, obwohl derzeit keine AK-47- Maschinenpistolen mehr im Zentrum von Zagreb verkauft werden wie noch im vergangenen Herbst? 500 Mark Sonderpreis für HDZ- Mitglieder, 800 für Sympathisanten. Ihre Freude hätten Touristen dieses Kalibers sicherlich an den vielen verwegenen Gestalten in braun-grün- grau geflickten Kampfanzügen, wie sie in breitbeinigem Rambo-Gang mit langen Bajonett-Messern am Stiefelschaft und mit leger über den Schultern baumelnden Kalaschnikows durch Rijeka patrouillieren. Und daß die sich nach eventuellem Kriegsende je entwaffnen und demobilisieren lassen, wird allgemein bezweifelt.

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n der „Disco 72“ vom Hotel „Jadran“ in Opatija streckte jüngst ein betrunkener Kämpfer mit seiner Baretta den Kellner und eine Besucherin nieder. Querschnittslähmung. Schwere innere Verletzungen. Der Kellner wurde schließlich von aufgebrachten Discogängern fast zu Tode gelyncht. Hier weiß jeder: Die ersten und die meisten, die zur kroatischen 150.000-Mann-Armee gingen, sind die Hoffnungslosen gewesen, die ohne Arbeit, mit jeder Menge Vorstrafen beladen, sozial bereits entwurzelt waren. Während viele junge Kroaten aus der Furcht vor dem Kriegsdienst ins Ausland fuhren, soll sich die gesamte „Torcida“, wie die gefürchteten Hooligans von Hajduk Split und NK Rijeka genannt werden, geschlossen zum Armeedienst gemeldet haben. Jetzt gröhlen sie Lili Marleen auf kroatisch, die Nummer eins der Hitparade: „Ich gebe nicht unser Land, unsere Dörfer und die Städte,/ die Wälder, die Wiesen und die Häuser./ Ich gebe nicht unsere schöne Heimat Kroatien./ Und mit dir verteidige ich sie./ Du weißt, ich warte auf dich.“

Auch die von Lale Andersen gesungene deutsche Originalfassung des ehemaligen Liebesliedes befindet sich auf der Kassette, die für 600 Dinar — zwölf Mark — bei fliegenden Händlern in jeder größeren Stadt erstanden werden kann. Kostenlose Beigabe: Die Ustasha-Hymne, der Ustasha-Tanz, Ustashas kämpfen, Kroatische Söhne und — als Höhepunkt und Abschluß — Pavelić, für dich werde ich sterben. Traditionspflege wird in heroischen Zeiten großgeschrieben. Es mag eine Minderheit sein, die nostalgisch-wohlige Gefühle bekommt, denkt sie an den von Hitler eingesetzten Faschistenführer Pavelić, der Großkroatien schuf und den Völkermord an Serben und Juden befahl. Doch lassen sich gefährlich nationalistische Stimmungen auch bei der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung nicht übersehen.

Maksim Valencić, ein gebildeter Mann, 44, Urologe und Leiter der Klinik von Rijeka, spricht davon, daß die Zahl der in kroatischen KZs Ermordeten von der „großserbischen Propaganda“ übertrieben worden sei. Ljubo Karina, ein 43jähriger Bildhauer, der an der istrischen Küste Steine und Holz zu symbolträchtigen Skulpturen verarbeitet, plant seine nächste Ausstellung in der „Heldenstadt Osijek“, wie er sagt. Zeljko Albrecht, Manager aus Rijeka, erzählt ganz selbstverständlich davon, wie Serben die Stadt verlassen mußten — vertrieben sozusagen. Per Quotierung wurden Kroaten auf ihre Arbeitsstellen gesetzt. „Es waren nicht viele“, sagt er.

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asna Mihalincić, Vertreterin der HDZ-Regierung für Flüchtlingsfragen in der Region Istrien, redet Klartext. Daß die „Zahl der guten Serben verschwindend gering“ sei und man über die wenigen gar nicht erst reden sollte. „Es könnte der Eindruck entstehen, daß es mehr von ihnen gebe.“ Wie das Verhältnis zwischen Serben und Kroaten in den derzeit umstrittenen Gebieten Kroatiens zukünftig aussehen könnte? Die promovierte Juristin antwortet: „Mir geht die Galle über, wenn ich an das sogenannte friedliche Zusammenleben denke. Das ist blanke Theorie.“

Andere Völker kommen in Kroatien derzeit schlecht weg — ob die „arroganten“ Slowenen, die „dummen“ Bosnier, die „bösen“ Amis. Die Deutschen stehen hoch im Kurs und Genscher ganz oben. In Opatija, dessen prunkvolle Hotels, Yachthäfen, Luxushäuser und Casinos den Vergleich mit Monte Carlo aufnehmen können, wird gemunkelt, daß dem deutschen Außenminister die ehemalige Villa des jugoslawischen Armeegenerals Manula angedient werden soll. Er ist sicherlich zum Wohlfühlen, dieser Ort, dessen Hotelnamen Glanz und Luxus versprechen und wo das Hotel „Beograd“ gerade ins vertraute „Bristol“ umbenannt wird. Kroatien blickt nach Westen.