Kommerzfunk in höherem Auftrag

Polens Privatradios senden unter dem Dach der Kirche  ■ Aus Stettin Klaus Bachmann

Ryszard Gondek, von Beruf eigentlich Schauspieler, dreht einen Mischpultregler langsam herunter, die Musik verstummt. „Ich begrüße alle Hörer bei der allabendlichen Jazzsendung von Radio AS.“ Als er sich zurücklehnt, quietscht der Bürosessel, das Studio ist schlecht gedämpft, von draußen dringt das Scheppern einer Schreibmaschine herein. Gondek macht alles: Er sucht die Musik aus, kommentiert sie, er ist sein eigener Diskjockey und sein eigener Regisseur. Manchmal spielt er ein besonders langes Stück, dann kann er für kurze Zeit sein Studio verlassen. Im nächsten Zimmer schreiben zwei junge Redakteure die Nachrichten aus Radio, Zeitungen und dem Fernsehen zusammen. In Stettin empfängt man auch deutsche Sender, die hören sie auch ab.

Gegründet wurde „Radio AS“ im Februar 1991 von fünf der jetzigen Redakteure, einem Staatsbetrieb und — der örtlichen Bischofskurie. Das hat seinen Grund: Da sich das Gesetz über die Zulassung privater Radio- und Fernsehstationen schon seit Jahren durch das Parlament quält, ist die einzige Möglichkeit, legal zu senden, eine der Kirche zugeteilte Frequenz zu nutzen. Denn die katholische Kirche hat sich noch unter der letzten kommunistischen Regierung von Premier Rakowski 1989 die Nutzung der Ätherwellen auch ohne ein entsprechendes Gesetz gesichert. In der „Radio AS GmbH“ ist sie so mit 20 Prozent der Anteile vertreten, der GmbH überläßt sie ihre Frequenz zur Nutzung. Das hat, so sagen Eingeweihte, den Vorteil, daß sie die Frequenz jederzeit zurückziehen kann, ohne deshalb die GmbH auslösen oder ihre Anteile verkaufen zu müssen.

Führt die Abhängigkeit von den kirchlichen Frequenzen zu Selbstzensur oder gar offenen Druck von oben? „Nein“, bestreitet Chefredakteur Wojciech Hawryszuk, „eine Einflußnahme auf das Programm gibt es nicht.“ Die Kirche hat eine eigene Redaktion aus Pfarrern, die ihre Beiträge ins Programm bringt, die Kurie vertritt ein Pfarrer im sogenannten Redaktionskollegium. Auf den Rest des Programms nehme die Kirche angeblich keinen Einfluß. Allerdings bemühen sich die Redakteure, strittige Themen zu vermeiden, so etwa das Thema Abtreibung.

Wer eine private Fernseh- oder Rundfunkstation in Polen betreiben will, der hat im Moment nur zwei Möglichkeiten: Über die Kirche oder illegal. In letzter Zeit werden Piratensender von der Post meist geduldet, weil die Verabschiedung des Rundfunkgesetzes gewissermaßen vor der Tür steht. Einige Sender arbeiten darüber hinaus mit einer Ausnahmegenehmigung.

Seit die Kirche begonnen hat, mit harscher Kritik an den Medien, der Gründung eines eigenen katholischen Journalistenverbandes und einer eigenen Tageszeitung ihre gesellschaftliche Macht auszubauen, sehen sich die privaten Kirchenfunker doppelter Kritik ausgesetzt. Von der einen Seite wird ihnen vorgeworfen, sich als Alibi für Kirchenpropaganda ausnutzen zu lassen, von der anderen, die eigentlich für religiöse Zwecke gedachten Frequenzen für Kommerzradios und Reklame zu mißbrauchen.

Inzwischen wurden der Kirche schon 14 Frequenzen zugeteilt, 25 wurden beantragt. Manche der Radioamateure und -profis wählen aber auch die Gesetzlosigkeit, umso mehr, als die Behörden kaum eine Chance haben, sie zu fassen. Selbst ausländische Investoren sind bereits als Piraten aktiv. Die italienische Fernsehgesellschaft STEI, die bereits Anteilseigner der Warschauer Tageszeitung 'Zycie Warszawy‘ ist, finanziert in Stettin das Piraten-TV „Television Morze“, die als GmbH ganz offiziell im Stettiner Handelsregister eingetragen ist.