GASTKOMMENTAR: Halber Sieg
■ Auf dem chinesischen Volkskongreß kam es zur offenen Auseinandersetzung
Der chinesische Volkskongreß entschied, mit dem Bau eines Riesenstaudamms am Jangtse-Fluß die Zerstörung eines der schönsten Gebiete des Landes in Kauf zu nehmen und ein ökologisches Desaster zu riskieren. Doch der Baubeginn soll erst zu einem „angemessenen Zeitpunkt im Lichte der aktuellen Bedingungen und der wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes“ vom Staatsrat Chinas festgelegt werden. Der typische Kompromiß spiegelt die gegenwärtige politische Landschaft Chinas. Die orthodoxen Hardliner, die nach dem Pekinger Massaker von 1989 die Politik in China geprägt und das öffentliche Leben beherrscht haben, können nicht mehr so, wie sie wollen. Sie geben sich aber noch nicht geschlagen. Auf dem Volkskongreß brachten sie erneut ihre Thesen ein: Das Wirtschaftswachstum muß auf sechs Prozent begrenzt werden, die Stabilität im Lande muß unter allen Umständen erhalten bleiben, und man muß vor der „bürgerlichen Liberalisierung“ auf der Hut sein, wie der Premier Li Peng vor zwei Wochen schon in seinem Arbeitsbericht der Regierung verkündet hatte. 150 Änderungsvorschläge, so viel wie noch nie, gingen daraufhin beim Präsidium der Tagung ein. Die wichtigsten betreffen politische Grundsatzfragen: So steht in dem heute angenommenen Bericht, daß der „Kampf gegen linke Abweichungen“ Vorrang hat — ein Kampfansage der Reformer gegen die dogmatischen Hardliner, die in der Beschleunigung der Wirtschaftsreformen und der Anwendung westlicher Methoden in der Ökonomie die Gefahr der sogenannten „friedlichen Evolution zum Kapitalismus“ wittern. Der Altreformer Deng Xiaoping, der bereits 1979 das Land aus dem Trauma der „Kulturrevolution“ in den Reformprozeß geführt hat, mußte dafür seinen Nachfolgern noch einmal seine Autorität zur Verfügung stellen. Gegen den heftigen Widerstand der Hardliner, als deren Repräsentant sich Ministerpräsident Li Peng hervorgetan hat, haben die wichtigsten Thesen der Reformer Eingang in den Regierungsbericht gefunden. Doch damit ist die Auseinandersetzung nicht beendet. Es fehlt jeder Hinweis auf dem Volkskongreß, daß die angestrebten wirtschaftlichen Reformen durch politische ergänzt werden sollen. Der Ministerpräsident, zwar im Ansehen schwer angeschlagen, ist weiter im Amt, im mächtigen Parteipolitbüro und im Regierungs- und Funktionärsapparat sitzen weiter die Hardliner und Dogmatiker. Solange die notwendigen personellen Konsequenzen nicht gezogen sind, bleiben die Ergebnisse der Jahrestagung des chinesischen Parlaments nur ein „halber Sieg“ für die Reformer. Lutz Pohle, Peking
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