Auf dem Souk al-Libyi gibt's alles

In Libyen verdienen seit dem Golfkrieg Hunderttausende Ägypter ihren Unterhalt/ Mit dem UN-Embargo, das am 15. April in Kraft treten soll, ist ihre wirtschaftliche Existenz bedroht  ■ Aus Matruh Karim el-Gawhary

Die Strände der westlichsten Stadt Ägyptens, Marsah Matruh, liegen noch in im Winterschlaf. Nur schwer kann man sich jetzt den Trubel vorstellen, der hier im Sommer Einzug hält. Von der Küstenpromenade aus gesehen, wirkt diese Stadt so tot wie das Strandgut, das den Winter über hier angespült wurde. Aber der Eindruck täuscht. Im Zentrum der Stadt brodelt es. Zehntausende ägyptische Arbeiter, die in Libyen eine Anstellung gefunden haben, müssen auf dem Weg zwischen ihren Familien in Ägypten und ihren neuen Arbeitsplätzen Matruh passieren. Die Stadt liegt 200 Kilometer vor der libyschen Grenze, auf der einzigen Verbindungsstraße zwischen beiden Staaten.

Über eine Million Ägypter arbeiten nach ägyptischen Angaben zur Zeit in Libyen. Eine nicht unerhebliche Zahl, wenn man bedenkt, daß es höchstens 4,5 Millionen Libyer gibt. Seit der Grenzöffnung vor einem Jahr wurden die meisten bürokratische Schranken im Grenzverkehr beseitigt. Mit Handels- und Wirtschaftsverträgen, Erleichterungen beim Kapitaltransfer und dem Recht der Bürger beider Staaten, im jeweiligen Nachbarland zu arbeiten oder Handel zu treiben, wurde ein neues Kapitel in den Beziehungen beider Länder aufgeschlagen. Die Ägypter strömten ins westliche Nachbarland, in der Hoffnung, dort einen gutbezahlten Job zu finden. Zum Grenzübertritt reicht der Personalausweis.

Nachdem Hunderttausende Ägypter im Zuge des Golfkrieges Kuwait, den Irak, Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten verlassen haben, bildet die offene Grenze zu Libyen für sie ein neues Schlupfloch aus der ägyptischen Misere. Mit dem Golfkrieg wurde aus der permanenten Krise auf dem ägyptischen Arbeitsmarkt eine Katastrophe. Obwohl die USA dem Golfkriegsverbündeten Ägypten, als Ausgleich für die Entsendung von Truppen an den Golf, einen bedeutenden Teil seiner Schulden erließen, konnte die ägyptische Ökonomie die Rückkehrer nicht verkraften. So wurde Libyen binnen kürzester Zeit zum größten Importeur ägyptischer Arbeitskräfte.

„Souk al-Libyi“ — libyscher Markt— nennen die Einwohner Matruhs den Platz, auf dem sich die durchreisenden Arbeiter zu Hunderten einfinden. Sie kommen mit allem, was vier Räder hat. Die Auswahl reicht von komfortablen Bussen mit Air-condition und Video über vollbepackte Überlandtaxis bis hin zu Pick-Up's, auf deren Ladeflächen sich die Fahrgäste drängeln. In Libyen verdienen Ägypter aus den verschiedensten sozialen Schichten ihren Unterhalt. Während aus den Bussen meist Ingenieure steigen, die auf den Ölfeldern in der libyschen Wüste arbeiten, klettern von den Pick-Up's ägyptische Bauern, die in einem der Wüsten-Bewässerungsprojekte Gaddafis ihr Brot verdienen.

Der Platz rund um die Bushaltestelle wurde zu einem Markt umfunktioniert. Kassettenrekorder, Äpfel und Zigaretten würden von Arbeitern aus Libyen mitgebracht, erklärt einer der Händler. Äpfel gelten in Ägypten als Kostbarkeit. „Sie werden eingefroren bis zum Sommer und dann zum Höchstpreis verscherbelt“, erläutert er die Strategie derer, die Dutzende Apfelkisten auf die Dachgepäckträger ihrer Autos binden. Im Sommer kosten die begehrten Früchte das Zehnfache einer Orange. „Man muß schließlich von irgend etwas leben“, fügt er fast entschuldigend hinzu.

Das Volumen des offiziellen Handels zwischen beiden Ländern beträgt seit der Grenzöffnung eine halbe bis eine Million D-Mark täglich. Libyen avancierte inzwischen zum größten Markt für ägyptische Exportprodukte. Libysche und ägyptische Statistiken prognostizierten vor dem Sanktionsbeschluß des UN-Sicherheitsrates am Montag letzter Woche noch weitere Steigerungen des Geschäftsvolumens. Auch private libysche Investitionen in Ägypten hatten Aufwind. Nach Angaben des zuständigen libyschen Ministers Muhammad Hedschasi sollen sie zur Zeit 1,25 Milliarden Dollar betragen. 80 Prozent davon entfallen alleine auf die Mittelmeerprovinz Alexandria. Auf der anderen Seite sind es vor allem ägyptische Firmen, die Großaufträge in ihrem westlichen Nachbarland ausführen. Der Bau einer Eisenbahn zwischen der ägyptischen Grenze und der libyschen Küstenstadt Bengasi und die Verknüpfung der Stromnetze beider Länder sind fest in den Händen ägyptischer Unternehmer. Kein Wunder also, daß der Beschluß des UN-Sicherheitsrates, ab dem 15. April ein Embargo über den Nachbarstaat zu verhängen, falls dieser die beiden angeblichen Lockerbie-Attentäter nicht ausliefert, in Ägypten nicht mit Begeisterung aufgenommen wird. Darüber, wie sich Kairo im Falle von Sanktionen verhalten wird, war von ägyptischen Offiziellen bisher wenig zu erfahren. „Praktisch gesehen, sind die arabischen Länder ökonomisch und sozial nicht in der Lage, Sanktionen gegen Libyen durchzuführen“, meint Saad ed-Din Ibrahim, Soziologe an der Amerikanischen Universität in Kairo. In der ägyptischen Hauptstadt hofft man auf eine schnelle Lösung des Konflikts. Für den Fall, daß es doch zu einem Embargo kommen sollte, verweist man bereits jetzt auf den Artikel 50 der UN-Charta. Demnach müssen Staaten, die von Embargomaßnahmen der UN indirekt getroffen werden, vorher konsultiert und die Auswirkungen des Embargos bei der Beschlußfassung berücksichtigt werden. Doch der US-Botschafter ließ bereits verlauten, daß die USA in Sachen Embargo keine ägyptischen Ausflüchte akzeptieren würden.

In einem Restaurant in Marsah Matruh, direkt am Souk al-Libyi mit dem bezeichnenden Namen Alam al- Arabi (Die Arabische Welt) macht sich derweil Pessimismus breit. Die ägyptischen Arbeiter, die gerade aus Libyen kommen, sehen erschöpft aus. Wer aus Bengasi kommt, hat immerhin eine Tagesreise hinter sich. Die Arbeiter aus Tripolis waren sogar schon zwei Tage unterwegs. „Keiner von uns weiß nun, wie seine Zukunft aussieht“, beginnt Ahamd Salah, einer der Arbeiter, das Gespräch. Für ihn geht es dem „Westen“ nicht um die Auslieferung der beiden libyschen Geheimdienstler, die nach CIA-Angaben für den Tod von 270 Menschen im Jahr 1988 in Schottland verantwortlich sein sollen. Vielmehr hätten es die USA, Großbritannien und die anderen Staaten, die den Beschluß des Sicherheitsrates unterstützen, auf Gaddafi selbst abgesehen. Falls Libyen die beiden Männer nicht ausliefert, fürchtet er weitere Zwangsmaßnahmen. Er könne die Libyer verstehen, wenn sie nicht klein beigäben. Sie hätten schließlich ihren Stolz, ob sie nun für oder gegen Gaddafi seien. Resignierend fügt er hinzu, als er aufsteht, um seine Reise nach Kairo fortzusetzen: „Egal wie man die Sache dreht und wendet, es sind am Ende doch wieder die kleinen Leute wie wir, die die Zeche bezahlen.“