Zwischen allen Frontlinien sitzen die bosnischen Muslimanen

■ Die serbischen Freischärler, die nun auch Teile Nordbosniens unter ihre Kontrolle gebracht haben, wollen zeigen, wie man heute einen Krieg führen und gewinnen kann

Über Radio Sabac dudelt den ganzen Tag Volksmusik. Einst wie heute. Wer von Politik nichts mehr wissen will, der schaltet auf diese Frequenz. War Radio Sabac schon ein Unikum unter kommunistischer Herrschaft, frei von titoistischer Ideologie, so ist der Krieg in Kroatien und Bosnien für die Radiobetreiber heute auch kein Thema. Und doch hat sich auch in Sabac vieles verändert. Das serbische Städtchen unweit der bosnischen Grenze wirkt wie ausgestorben, liegt darnieder. Denn in Sabac lebte man einst von den großen Volksmusikfestivals, von den Schlachtenbummlern aus allen Teilen Jugoslawiens, die hier am Wochenende Volkstümlichkeit suchten, die großen Stars der Musikwelt live erleben wollten. Denn wer immer etwas im jugoslawischen Schlagergeschäft zu sagen hatte, der sagte es in Sabac. Hier wurden neue Talente entdeckt, volkstümliche Fernsehserien gedreht. Hier hatten die Plattenfirmen ihren Sitz.

Heute ist Sabac Hauptsitz der „Serbischen Patriotischen Garden“ unter dem Kommando des Cetnik- Führers Zeljko Raznjatovic Arkan. Hier haben seine Leute das Sagen. Aber nicht nur hier. Seit dem Wochenende hört auch auf der anderen Seite des Flußes Drina die bosnische Nachbarstadt Bijeljina auf sein Kommando. Akran im serbischen Fernsehen: „Wir haben Bijeljina vom muslimischen Terror befreit, diese Stadt ist jetzt serbisch.“ Arkan gilt als Held — als „Befreier“ der kroatischen Großstadt Vukovar im letzten November, und jetzt als „Sieger“ im Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus.

Arkans Leute fühlen sich so sicher, daß sie Journalisten zu einer „Stadtbesichtigung“ nach Bijeljina einladen. „Überzeugen Sie sich selbst“, mit einem Lächeln fordert Gordan der Falke, wie der Kommandant von Sabac genannt wird, uns auf, das Angebot anzunehmen. „Sehen Sie selbst, wie wir die Ordnung aufrechterhalten.“ Der Besuch ist kostenlos in dieser zerbombten Stadt mit über hundert Toten — meist toten Muslimanen, die von den „Arkanci“, wie die serbischen Freischärler im Volksmund genannt werden, hingemetzelt wurden. Aber wie es mit der Wahrheit tatsächlich stehe, das könne man vor Ort selbst erkunden. Arkan persönlich würde sich die Zeit nehmen, alles zu erklären. Der Sarkasmus kennt keine Grenzen in diesem Balkankrieg. So wie derzeit das kroatische Vukovar von einem serbischen „Reisebüro“ der Arkan- Leute als Ausflugsziel für „Schlachtfeldtouristen“ vermarktet wird und jeder, der den Wunsch verspürt, ein europäisches Schlachtfeld zu besichtigen, für teure Devisen die zerbombte Donaustadt besuchen kann, so wollen diese Freischärler in Nordbosnien erneut zeigen, wie man am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts einen Krieg in Europa führen und gewinnen kann. „Bijeljina ist unser Symbol für ein freies, großes Serbien“, prahlt Gordan der Falke. Der dreißigjährige Kämpfer glaubt an seine Worte. Er glaubt sie wirklich. Wie all die anderen selbsternannten Feldherren auch.

Das Gehabe, das Kriegspathos — sie sind mittlerweile allzu vertraut. Auf der kroatischen Seite verkörpert ihn unter anderem Dobroslav Paraga, Parteivorsitzender der „Partei des Rechts“, der mit allen Mitteln ein Großkroatien errichten will. Auch er hatte uns schon mehrmals eingeladen, doch an die Front zu gehen, „seine Kriegsbeute“ zu bewundern. Auch Paraga hat nun in Bosnien sein Hauptquartier, sein „Schlachtfeld“. Seine Gegner in Sabac und Bijeljina erklären auch ungeschminkt, warum der Krieg nach Bosnien getragen wird: „Die UNO-Blauhelme werden den Status quo in Kroatien absichern. Da ist für uns kein Platz mehr, da wird man später sehen, wem die einzelnen 'Schutzzonen‘ zufallen werden.“ Gordan, der Feldherr, prahlt gerne mit seinem Soldatenwissen. UNO und EG hätten der serbischen Seite schon längst zugestanden, daß für die Serben in der kroatischen Enklave Krajina ein Sonderstatus gewährt und bei einer späteren Volksabstimmung dieses Gebiet Serbien einverleibt werden könne; also ginge es nun darum, in der bosnischen Krajina „vollendete Tatsachen“ zu schaffen, aber auch in Ostslawonien. Gordan ohne Umschweife: „Wir haben Bijeljina erobert, um so von Süden nach Ostslawonien vorstoßen zu können. Bisher mußte die Flanke aus der Vojvodina nach Ostslawonien geführt werden, von Bosnien aus ist dies bedeutend leichter.“

Skrupel kennen die Kämpfer nicht

Skrupel, bei diesen Kriegsoperationen könnten stets auch unschuldige Zivilisten ums Leben kommen, kennen diese Kämpfer nicht. In Sabac stört sich auch niemand unter der serbischen Bevölkerung an diesen selbsternannten Kriegshelden. Man läßt sie gewähren. Man läßt sie morden. In der örtlichen Armeekaserne wird der Nachschub organisiert. Treffpunkt zur „Besichtigungsfahrt“ hinüber nach Bijeljina ist denn auch die Kaserne. Ein moderner Armeejeep steht bereit. Als wir dezidiert ablehnen, sagen, daß wir keine Lust auf eine Leichenschau hätten, reagieren die „Arkanci“ gereizt: „Wir brauchen hier keine Feiglinge oder Friedensengel.“

Männer mit Waffen werden gesucht. Und gefunden. Nicht nur in Sabac und Bijeljina. Sind es hier Serben, die freiwillig in den Kampf ziehen, sind es in Mostar, Bosanski Brod oder Neum kroatische „Heimwehrverbände“ unter dem Kommando von Dobroslav Paraga, die zum Kampf blasen. Und zwischen allen Frontlinien sitzen die bosnischen Muslimanen. Sie sind mittlerweile auch bis an die Zähne bewaffnet — nur einen Feldherrn haben sie noch nicht. Noch nicht. Aber am Wochenende wurden von der Führung der bosnischen Republik erstmals auch militante Töne angeschlagen. Präsident Alija Izetbegovic, ein Muslimane, ordnete am Sonntag die Generalmobilmachung an. Er warnte: „Wie uns die jugoslawische Bundesarmee oder andere Freischärlerverbände begegnen, so werden wir diesen Truppen begegnen.“ Vojislav Seselj, der Cetnik-Boß, der im letzten Sommer den Startschuß zum Krieg in Kroatien gab, meldete sich am Sonntag in der Belgrader 'Wochenschau‘ mit neuer Militanz zu Wort: Hunderttausende Serben seien in den letzten Monaten von Kroaten und neuerdings auch von bosnischen Muslimanen vertrieben worden. Da sei es an der Zeit, endlich auch diese „aus dem historischen serbischen Land“ zu vertreiben. Eine Sprache, die in Bijeljina schon in die Tat umgesetzt wurde: Die einst muslimanische Kleinstadt im Drina-Tal wurde „gesäubert“. Freischärler haben ganze Arbeit geleistet. Der Name des Eroberers Arkan schmückt die Titelseiten der serbischen Presse. Im serbischen Fernsehen wird er gefeiert. Kritik wird nicht geübt. Nur Radio Sabac kümmert sich anscheinend nicht um Politik. Hier läßt man am laufenden Band Volksmusik und Schlager durch den Äther dudeln. Nur beim genauen Hinhören merkt man, die Volksweisen sind nicht mehr die alten Melodien von einst. Hin und wieder ertönt Kriegsmusik — wie das populäre Kampflied „Wer sagt, wer lügt, Serbien sei klein, dem werden wir es zeigen, ins Grab mit ihm hinein.“ Roland Hofwiler, Sabac