Blick zurück von Anfang an

Djuna Barnes Uraufführung im Wiener Schauspielhaus  ■ Von Dieter Bandhauer

Vor einigen Jahren spürten die Barnes- Übersetzerinnen Christine Koschel und Inge von Weidenbaum in der Washingtoner Library of Congress ein bislang unbekanntes Manuskript von Djuna Barnes auf: das Theaterstück Ann Portuguise aus dem Jahr 1922. Hans Gratzer, Direktor des Wiener Schauspielhauses, konnte sich die Uraufführungsrechte gegen eine offensichtlich wenig wachsame oder ignorante Konkurrenz sichern und das Drama rechtzeitig zum 100.Geburtstag der 1982 in New York verstorbenen Dichterin auf die Bühne bringen.

Ann Portuguise ist das Stück einer 30jährigen über eine Frau gleichen Alters — und scheint doch alles andere zu sein als der Text einer jungen Autorin. Aber nicht Kategorien wie „altersweise“ oder „altklug“ sind hier angebracht. Barnes wirft vielmehr einen derart illusionslosen Blick auf einen sich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckenden Lebensabschnitt ihrer Titelfigur, daß von einer Autorin gesprochen werden kann, die sich nicht mehr das geringste vom Leben erwartet, die am Ende angekommen Bilanz zieht — und dies nicht einmal mehr im Zorn.

In drei Stationen vollzieht sich Ann Portuguises Abschied von der Liebe. Der erste Akt — verglichen mit den beiden folgenden — noch voll Leben, Menschen und Dramatik. Eine große Tafel mit Gläsern, Weinflaschen und einem gebratenen Fasan verweist auf Lebensstil und -freude. Doch Martin Kraemer ließ auf der in Weiß gehaltenen Bühne jenen möglichen Charme eines New Yorker Landsitzes um die Jahrhundertwende erst gar nicht aufkommen. Das Ende ist in diesem klinischen Raum von Anfang an präsent — ebenso wie in Hans Gratzers Personenführung.

Bereits das einleitende zänkische Gespräch der beiden Dienstmädchen ist fern jener denunzierenden Komik, mit der das Dienstbotenpersonal in der Literatur gerne abgefertigt wird. Und Elke Langs Auftritt als Ann läßt ein mögliches soziales Gefüge ins Wanken geraten. Spricht sie mit den Mädchen, als wäre sie eine von ihnen, oder sprechen die Mädchen mit ihr, als wären auch sie Gäste auf Anthony Scarletts Fest? Jene „rätselhafte Deplaziertheit“, von der die Barnes-Biographin Kyra Stromberg spricht, zeichnet auch Langs Ann Portuguise aus.

Sie ist anders als die Männer, die sie umgeben. Wie ein Vogel bewegt sie ihre Schultern, aber sie ist kein exotischer Vogel in einer Männerwelt. Vielmehr erscheinen die Männer bei Djuna Barnes wie Projektionen. Ihr Liebhaber Cassius ist nach eigener Einschätzung nicht einmal mehr schwermütig, sondern nur noch erschöpft. Der Gastgeber Anthony verfällt in eine Liebe zu Ann, die ihn in sich selbst versinken läßt und nicht jenem oft bemühten Herabziehend-Weiblichem anheimgibt. — Erich Schleyer spielt Cassius' Erschöpftheit mit einem letzten theatralischen Aufbäumen, während Johannes Terne Anthonys Schwärmerei in Exaktheit förmlich erfrieren läßt. Wenn Anthony Cassius mit dessen Pistole erschießt, ist dies nicht das dramatische Ende eines Kampfes zweier Rivalen, sondern tatsächlich bloß Beihilfe zum Selbstmord. Im dritten Akt wird noch einmal diese in den Besitz Anthonys übergegangene Waffe gezogen und dem Partner überantwortet. Doch Ann ist nicht das Werkzeug männlicher Todessehnsüchte. Die Qual der Liebe, das Martyrium der Geschlechterbeziehung findet bei Barnes kein geräuschvolles Ende.

In der Männerliteratur — von Strindberg über Albee bis zu Noren — hat der Geschlechterkampf immer etwas Sportliches: mit Zwischenergebnissen und wechselvollem Geschehen, mit Siegern und Verlierern, auch wenn diese je nach Perspektive wechseln. Djuna Barnes' Ann Portuguise hingegen ist jenseits einer banalen Opfer-Täter-Dialektik. Das Leben und die Liebe und die Sehnsucht danach werfen die Figuren auf sich selbst zurück. Diese existentielle Verzweiflung verdanken die Menschen bei Barnes aber nicht dem Leben, das realistisch wiedergegeben wird, sondern einem rigorosen Kunst-Gesetz, das Todesurteile vollzieht, aber keine Schuldsprüche verkündet.

Hans Gratzers Inszenierung benützt keine psychoanalytischen Schlüssel, um ein rätselhaftes Stück zu öffnen und somit zu banalisieren. Einen Weg in das Drama gibt es für den Betrachter ebenso wenig wie einen Ausweg für die Figuren. So kann der ausgesperrte Interpret und Regisseur bestenfalls Einblicke eröffnen.

Djuna Barnes: Ann Portuguise. Regie: Hans Gratzer, Bühne: Martin Kraemer. Mit: Elke Lang, Erich Schleyer, Johannes Terne u.a. Das Schauspielhaus, Wien. Nächste Aufführungen: 7. bis 11. und 14. bis 16.April.