GASTKOMMENTAR
: Stuttgart ist nicht Hoyerswerda

■ Zum Wahlsieg der Rechtsradikalen bei den Landtagswahlen

Fast fünfzehn Prozent der Wähler in Baden- Württemberg und sechs Prozent in Schleswig-Holstein haben Rechtsradikalen und Neonazis ihre Stimme gegeben. Immer noch eine in Kauf zu nehmende Randerscheinung? Kann man nach wie vor diese Wähler als eine Handvoll Skinheads und Jugendliche bezeichnen, die aufgrund ökonomischer und sozialer Probleme in die Arme der Neonazis getrieben worden sind? Oder als orientierungslose „Ossis“, denen Brandanschläge und Überfälle als Ersatz für den Verlust ihrer Identität, als eine Flucht aus der Isolation, aus der Vereinsamung dienen? Stuttgart aber ist nicht Hoyerswerda, und Kiel nicht Greifswald.

Es sind nicht die ökonomischen Engpässe, die in Baden-Württemberg, dem reichsten Land der Bundesrepublik, fünfzehn Prozent der Wähler für die Rechtsradikalen stimmen ließen. Wer sollte es nicht wissen, daß die Republikaner keinerlei ernstzunehmende Konzepte zur Lösung ökonomischer und sozialer Fragen vorzuweisen haben? Die Republikaner haben sich auf ein einziges Thema konzentriert, auf die Ausländer- und Asylpolitik und dabei im Grunde nur offener und deutlicher ausgesprochen, was seit Jahr und Tag aus dem Munde deutscher Spitzenpolitiker in Bund und den Ländern zu vernehmen war. Die Lüge: „Das Boot ist voll“, eine „Flut“ von Flüchtlingen bedrohe die Bundesrepublik. Begriffe wie „Scheinasylanten“, „Asylbetrüger“ hat nicht Schönhuber erfunden. Die manipulierten falschen Zahlen und Daten, die täglich mit dem Siegelzeichen der Bundesregierung unter das Volk gebracht werden, stammen nicht aus der Parteizentrale der Republikaner, das Wort „Durchrassung“ hat nicht etwa ein Skinhead in die Welt gesetzt.

Seit Jahren, und zwar schon lange bevor man von dem Fall der Berliner Mauer träumen konnte, hat das Bundesinnenministerium unter der Leitung von Herrn Zimmermann und später Herrn Seiters versucht, den Beweis zu erbringen, daß Flüchtlinge und insgesamt Ausländer für die Bundesrepublik eine unzumutbare Belastung darstellen. Wie oft wird wider besseres Wissen betont, das Problem der Arbeitslosigkeit und der Wohnungsnot sei durch die Eindämmung der Flut von Scheinasylanten zu beheben. Wie oft vermitteln Demagogen den Eindruck, man brauche nur das Recht auf Asyl aus dem Grundgesetz zu tilgen, dann gebe es genügend Arbeitsplätze und Wohnungen für die Deutschen. Es ist doch nicht zu leugnen, daß zahlreiche Politiker und Journalisten das Feuer des Fremdenhasses geschürt und dabei jenen Ereiferern die Argumente lieferten, die die Rettung der neu vereinten Nation in der Verjagung und Vernichtung von Ausländern gesehen haben und hierfür zur Tat geschritten sind. Die Ausschreitungen waren die direkte Folge der Irreführung, die systematisch vorangetrieben wurde. Wäre dem nicht so, dann hätten die Politiker, die sich zu Demokratie und Menschenrechten bekennen, spätestens zu der Zeit, als Flüchtlingsheime in Brand gesetzt und Ausländer ermordet wurden, die Bevölkerung aufklären, ihren Wählern die Wahrheit sagen müssen. Das Gegenteil ist geschehen. Die falsche Saat sollte bis zu den Wahlen schöne Früchte tragen, die sie für sich und ihre Partei ernten wollten. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Früchte sind den Republikanern in den Schoß gefallen.

Spätestens von nun an werden nicht einmal die blindesten Verdränger die Existenz eines organisierten Rechtsradikalismus und Rassismus in Deutschland leugnen können. Das aber ist ein Gespenst, das nicht nur Ausländer in Schrecken versetzt. Gefährdet sind auch Deutsche, gefährdet ist die gesamte zivile Gesellschaft der Bundesrepublik. Sicher, ähnliche Phänomene sind auch in Frankreich zu beobachten, was schlimm genug ist. Doch wenn zwei dasselbe tun, ist es bekanntlich nicht unbedingt dasselbe. Ein aufgebautes Gebäude auf den Trümmern von 1945, auf den Ruinen von Dachau und Auschwitz, muß als eine hoffentlich nicht zu späte Warnung aufgefaßt werden. Die Frage ist nun, ob die Demokraten in Deutschland diese Warnung registrieren, die reale Gefahr spüren und sich endlich rühren werden. Oder ob man nach diesem Schock vom Sonntag zur Tagesordnung übergehen wird. Irgendwann wird man die eigenen Hände in Unschuld waschen und abermals behaupten, man habe von alledem nichts gewußt. Bahman Nirumand

Lebt als Schriftsteller und Journalist in Berlin