Selbstberuhigung nach dem Schock

Kanzler Kohl versuchte, Gelassenheit zu demonstrieren/ Die Grünen freuen sich über den Bruch der absoluten CDU-Mehrheit in Baden-Württemberg  ■ Von T. Bruns und A. Zumach

Als „schlimme Niederlage“ für die CDU bezeichnete Helmut Kohl die Ergebnisse der Landtagswahlen vom letzten Sonntag. Gleichwohl gab sich der Kanzler und CDU-Vorsitzende recht ungerührt. Trotz der „Protestwahl, deren Ergebnisse sehr ernst zu nehmen“ seien, ist er zuversichtlich, daß die nächsten 18 wahlfreien Monate das Problem der rechtsradikalen Parteien erledigen werden. Als Gründe für den „Denkzettel“ nannte Kohl erstens das Asylthema: Hier sei die Union für die Wähler unglaubhaft geworden, weil sie die richtige Lösung lediglich vorgeschlagen habe. Wie Erwin Teufel schob auch Kohl die Verantwortung für die rechtsradikalen Wahlergebnisse damit denen in die Schuhe, die einer Grundrechtsänderung nicht zustimmen wollen. Seine Konsequenz: schnell ein gemeinsames europäisches Asylrecht, das ohne Änderung von Artikel 16 nicht zu haben sei. Zweitens nannte Kohl allgemeine Ängste, die Rentenerhöhung und das Wohnproblem. Viele würden sich fragen: „Werden wir uns nicht übernehmen bei der Hilfe für Ost- und Südosteuropa?“ Es gebe „die vage Angst, daß wir in der europäischen Gemeinschaft zu viel tun“. Bei Konzentration auf die wichstigsten Fragen — noch vor der Sommerpause die Pflegeversicherung, die Reform des 218, „etwas tun“ für den Wohnungsbau — sieht Kohl den Rechten die Felle davonschwimmen. Etwas moderater als noch vor zwei Wochen ist seine Kooperationsbereitschaft mit der sozialdemokratischen Opposition: lehnte Kohl damals noch jede Gedanken an runde Tische klar ab, so betonte er jetzt die Notwendigkeit von Gesprächen zwischen Bund und Ländern. Im Mittelpunkt der Politik wird die durch die deutsche Einheit notwenidig gewordenen Neuordnung der Finanzstrukturen in Deutschland stehen. Wenig konkret, aber sehr prinzpiell: „Neue Prioritäten“.

Die Grünen verwahrten sich zunächst dagegen, daß in fast sämtlichen Berichten und Kommentaren von Medien und PolitikerInnen seit den ersten Wahlprognosen am Sonntagabend in undifferenzierter Weise von einer „Niederlage der demokratischen Parteien“ die Rede war. Damit — so Bundesgeschäftsführerin Heike Rühle — würden die Parteien, die wie Grüne, Republikaner und DVU erhebliche Stimmengewinne erzielen konnten, über einen Kamm geschert und pauschal als undemokratische Parteien eingestuft. Der nur um knappe 397 Stimmen verpaßte Einzug in den Kieler Landtag wäre „die halbe Miete gewesen für den Wiedereinzug in den Bundestag 1994“ erklärte Rühle. Als „großen Erfolg“ ihrer Parei wertete Rühle den Verlust der absoluten Mehrheit für die CDU in Baden —Württemberg. Damit sei nach über 40 Jahren Alleinherrschaft einer Partei „endlich Wind und Bewegung in die Politik gekommen“. Die Freude über die grünen Stimmenzuwächse in beiden Bundesländern werde allderdings „erheblich getrübt“ durch den Einzug von Republikanern und DVU in die Parlamente.

Bundesvorstandssprecher Ludger Vollmer nannte die Wahlergebnisse eine „deftige Ohrfeige für Bundeskanzler Kohl“. Kohl habe „die absehbare Quittung erhalten für die ungerechte Lastenverteilung bei der Finanzierung der deutschen Einheit und für die Behandlung des Asylthemas durch die CDU“. Die SPD habe bei der Finazierung der Einheit „keine besseren Konzepte —vielleicht mit Ausnahme von Lafontaine“ und sei beim Aslythema „der CDU nachgelaufen“, erklärte Vollmer. Bei den „sogenannten“ Rechtsradikalen handele es isch „ganz überwiegend um kleine Leute, deren Lebenswelten durch die von den beiden Großpartein verfolgte technokratische Modernisierung bereits zerstört wurde oder bedroht sei“. Diese technokratsiche Modernisierungspolitik habe etwa im Bereich der Wohnungsbau—, der Umwelt- und der Arbeitsmarktpolitik zu einem „politischen Desaster geführt“. Statt sich um diese Politikbereiche „verantwortlich zu kümmen“ habe die CDU die Flüchtlinge und Asylbewerber „zum Sündenbock gemacht, wie dies bereits in den 60er Jahren mit den Gastarbeitern und der APO geschehen ist.