Hauptsache: ex

■ Uraufführung von Eugen Ruges „Restwärme“ in Leipzig

Zum Schluß waren alle zufrieden, fast könnte man sagen: glücklich. Glücklich, weil einig. Nach knapp einer Stunde Uraufführung von Eugen Ruges Dramolett Restwärme in der Leipziger Neuen Szene kuschen sich die Premierengäste im Foyer in kleinen Gesprächsgrüppchen zusammen: Wie nett das Stück war, wie gut gespielt und wie amüsant, und hat es nicht jeden der Anwesenden ganz im Innersten berührt? Der Autor, der schon vorab niemanden im Zweifel ließ, er habe da ein sehr persönliches Stück geschrieben, wärmte sich sichtlich an den Glückwünschen. Auch der von der Kritik arg gebeutelte Intendant des Leipziger Schauspiels zeigte sich erleichtert, wäre doch wieder einmal bewiesen, daß die Neue Szene den „avantgardistischen“ Geschmack des jungen Publikums befriedige. Damit erweist sich der Intendant als Kenner der Leipziger Theaterszene: Die „Neue Szene“ ist wirklich das einzige Theater, das aufzusuchen sich lohnt. Deshalb muß es doch nicht gleich avantgardistisch sein.

Restwärme wärmt das Herz, ein im Theater doch seltener Vorgang. Zwischen drei kahlen braunen Wänden, gnadenlos ausgeleuchtet bis in die hintersten schmuddeligen Ecken, kriecht aus einem Bett ein leicht verstört wirkender Mann. Als nach ein paar Sätzen das erste „damals“ fällt, hat sich Ruges Figur zu erkennen gegeben. Ein Übriggebliebener, Marke Ex-Achtundsechziger. Ihm steht ein Bewerbungsgespräch bevor: Er will „dabei sein“, unendlich locker und natürlich leistungsorientiert, innovativ, kreativ — schlicht positiv. Deshalb trainiert er vor einem imaginären Spiegel die Vorstellung seines neuen Ichs: Mundspray, Grüß Gott, nicht zu viel, aber kräftig lächeln, und keine Randbemerkung über Nietzsche oder Spinoza.

Olaf Burmeister spielt die tragi- komische Figur mit allen Mitteln des Slapstick. In gepunkteten Boxershorts, ein Blutdruckgerät am Arm baumelnd, fetzt er übers Parkett und richtet innerhalb kurzer Zeit ein Chaos an — ganz nebenbei. Der Zeitplan des Erfolgsmenschen bringt ihn langsam um den Verstand. Der Rasierschaum klebt ihm im Gesicht, in die neue Flanellhose brennt er ein Loch, der Topf mit dem „Power“- Müsli kippt auf das neue Jackett. Glücklicherweise bremst ihn die Regie (der Autor persönlich) in seiner Requisiten-Raserei. Die Rolle des verwirrten, Mitleid erheischenden Nestflüchtlings, der plötzlich ganz still vom Vergangenen schwärmt, beherrscht Olaf Burmeister am besten. Vielleicht einer der schönsten Momente des Stücks: Verklärten Blickes erzählt er seinem Vorgesetzten, wie man damals sich den Bauch in einem noblen Hotel vollgeschlagen hätte, um dann die Blätter vom Gummibaum zu zupfen zwecks Begleichung der Rechnung.

Eugen Ruge hat das dankbare Thema nett und sauber inszeniert. Erst gegen Ende trägt er zu dick auf, läßt seinen Schauspieler schwülstig nach Verhaltensmaßregeln gegen die Verlassenheit fragen und autistisch kichern. Es ist erstaunlich: der erst 1989 ausgereiste ehemalige DEFA- Dokumentarfilmer Ruge hat ein Stück über einen westdeutschen Altlinken geschrieben — für eine ostdeutsche Bühne. Wahrscheinlich paßte die vorhandene Schablone gut: Wir sind doch alle „ex“, Ex-Achtundsechziger oder Ex-DDR-Bürger. Und am Schluß waren sie glücklich. Nana Brink

Eugen Ruge: Restwärme. Regie: Eugen Ruge, Bühne: Hans-Joachim Clauß. Mit Olaf Burmeister. Neue Szene, Leipzig. Nächste Aufführungen: 15. April; 4., 6., 8., 10. und 13. Mai.