piwik no script img

KOMMENTARBosnien ist anerkannt — was nun?

■ Alle Kriegsverbrecher gehören vor Gericht

Die Schüsse auf die Massendemonstration in Sarajevo haben noch einmal ein Schlaglicht auf den Charakter des balkanischen Krieges geworfen. Zehntausende, die in dieser liebenswerten Stadt gegen nationalen Chauvinismus und für ein friedliches Zusammenleben der drei Volksgruppen demonstrierten, wurden von durchgeknallten, hinterwäldlerischen Idioten mit tödlicher Konsequenz angegriffen. Mit den Schüssen aus dem „Holiday Inn“ wird ein weiteres Mal die trostlose Dynamik dieses Krieges offenbart: Einer Handvoll Extremisten gelingt es, eine Gewaltspirale in Gang zu setzen, an deren Ende der Vernichtungsfeldzug gegen den jeweiligen Gegner steht.

Wenn die Menschen in Nachbardörfern vergewaltigt, gedemütigt, ermordet werden, wenn die Angehörigen der jeweiligen Minderheiten vertrieben, ihre Dörfer dem Erdboden gleichgemacht werden, dann ist ein Stadium des Krieges erreicht, vor dem die internationale Gemeinschaft nicht mehr die Augen verschließen darf. Das Denken und Handeln in den Kategorien von Auge um Auge, Zahn um Zahn mag in der Region seine historischen Vorbilder haben, einer tief verwurzelten Mentalität entspringen. Begünstigt aber wird dieses Rache-Syndrom von höchst aktuellen Machtinteressen. Und die sind veränderbar.

Die kommunistischen Bürokratien haben den Zerfallsprozeß ihrer Herrschaft mit einer nationalistischen Politik aufzuhalten versucht. Milosevic in Serbien hat sogar Kriminellen wie den Kriegsverbrechern Arkan, „Captain Dragan“ und Seselj freie Hand für ihre Mordtaten gelassen. Komplementär hierzu instrumentalisieren die konservativen Eliten und Politiker wie Tudjman in Kroatien die alten Machtstrukturen. Früher war man „Klassenkämpfer und Internationalist“, heute fühlt man sich eins mit der nationalen Mission, gehört zu deren Helden. Mit ihren Großmachtsträumen förderten die führenden Politiker verantwortungslos Ressentiments, säen Haß. Das korrupte Offizierscorps der Armee aber, das Jugoslawien zu retten vorgab, meinte nichts anderes als die Sicherung seiner eigenen Existenz. Es führte mit seinem Krieg Jugoslawien erst recht in den Abgrund.

Diese Herrschaftselite hat kraß versagt. Dennoch erfreut sie sich international höchster Anerkennung. Wir müssen uns fragen, ob die Verhandlungsrituale in Brüssel, Den Haag, in New York und Washington sie nicht erst aufgewertet und ihnen Legalität verliehen haben. Es ist ein beschämendes Zeichen, daß EG-Gremien es nicht wagen, die von den EG-Beobachtern gesammelten Erkenntnisse über die Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ihre Geheimhaltung jedenfalls nützt nur denen, die den Krieg fortsetzen wollen. Mit dem Einsatz von UNO-Truppen wäre jetzt auch das Instrument gegeben, derjenigen habhaft zu werden, die Terror ausübten. Die diplomatische Anerkennung Bosniens und Mazedoniens mag für die Zukunft sinnvoll sein. Den Krieg kann sie nicht stoppen. Eine letzte Chance dafür scheint neben der Ausweitung des UNO-Einsatzes lediglich darin zu liegen, verantwortlich zu erklären, daß alle Kriegsverbrechen aufgeklärt und die Schuldigen vor einem International Gerichtshof angeklagt werden. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen