piwik no script img

„Gebären aus eigener Kraft“

■ Geburtshäuser und Hausgeburten noch immer nicht normal/ Kongreß in Hessen fordert weniger Macht für Ärzte

Gießen (taz) — „Gebären aus eigener Kraft“ — für viele schwangere Frauen ist dies ein Wunschtraum. 98 von 100 Geburten finden in der Bundesrepublik in Krankenhäusern und Kliniken statt. Betreten die Frauen den Kreißsaal, so geben sie ihre Autonomie auf, hier haben die Ärzte die Macht. Die Geburt ist dabei längst kein natürlicher Vorgang mehr, sie wird der medizinischen Technik unterworfen. Schwangere Frauen sollen die Art und den Ort der Geburt frei wählen können, war das Credo des Kongresses „Gebären aus eigener Kraft“ am Wochenende in Gießen, zu dem u.a. der Landesverband der hessischen Hebammen und die Frauenbeauftragte der Stadt Gießen eingeladen hatten. Alternativen zum Kreißsaal sind bei nicht pathologischen Schwangerschaften die Hausgeburt und das Geburtshaus. Sicherheit für Mutter und Kind, damit werben die Ärzte; doch Sicherheit wird in der Regel mit Technik und Bevormundung gleichgesetzt. Letztlich gehe es um die Freiheit der Frau, doch dem stehe das Verlangen der Ärzte nach Macht und Kontrolle entgegen, sagte Dr. Mardsen G. Wagner, der zwölf Jahre Direktor der europäischen Region der WHO für Mutterschaft und Kind war. Patriarchale Denkstrukturen beschneiden vor allem auch die Kompetenzen der Hebammen, kritisierte die Psychoanalytikerin Marina Gambaroff: „Die eigentlichen Expertinnen der Geburt sind häufig nur noch Handlangerinnen.“ Kein Wunder also, daß die Klinikhebammen, rund ein Drittel der 5.000 bis 6.000 Hebammen, andere Arbeitsbedingungen fordern. „Wir wollen, daß die Hebammen die Geburt in der Klinik verantwortlich und selbständig betreuen“, forderte Angelika Josten als Präsidentin des deutschen Hebammenverbandes. Ihre Kollegin Isolde Brandstätter beklagte die geringe Bezahlung und die überaus zähen Verhandlungen mit den Krankenkassen und Ärzten. Ganz andere Bedingungen finden Schwangere und Hebammen in Holland vor. Einmal mehr hat das kleine Nachbarland — 35 Prozent Hausgeburten — Vorbildcharakter. Verläuft alles normal und ohne Komplikationen, dann sieht die Frau während ihrer gesamten Schwangerschaft keinen Arzt, berichtete die holländische Hebamme Astrid Limburg. Für die deutschen Kolleginnen ist dies noch Zukunftsmusik. Immerhin steht zum ersten Mal im hesssischen Landesklinikplan, daß Geburten in Krankenhäusern und außerhalb möglich sein sollen, berichtete die hessische Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Iris Blaul (Grüne). jl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen