»Optimale Bedingungen für Rechtsextreme«

■ Der Politologe Richard Stöss prophezeit Aufschwung der Rechten auch bei den Berliner Kommunalwahlen/ Die Große Koalition, die schwache Opposition sowie die »unpolitisierte Situation« fördern die Bereitschaft, rechts zu wählen

Richard Stöss ist Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Zu Beginn dieses Jahres hat er die erste repräsentative Studie zum Rechtsextremismus in Ost- und West- Berlin vorgelegt. Die taz sprach mit ihm über rechte Bewegungen und Einstellungen in Berlin und in den neuen Bundesländern.

taz: Herr Stöss, haben Sie die Erfolge der »Republikaner« und der Deutschen Volksunion in Baden- Württemberg und Schleswig-Holstein überrascht?

Richard Stöss: Überhaupt nicht. Bei der Wahl in Bremen 1987 waren auch alle ganz überrascht, als die DVU plötzlich einzog. 1989 waren die Reps in Berlin erfolgreich; die Europawahl 1989 verlief ähnlich. Seit Mitte der 80er Jahre nimmt der Rechtsextremismus in Europa konstant zu.

In Deutschland schien das Thema doch vorerst vom Tisch zu sein.

Die Wahlforscher haben schon immer gesagt, daß die deutsche Einheit den Rechtsextremismus vorübergehend überlagern werde. Jetzt ist der Lack der Einheit ab, die Alltagsprobleme rücken wieder in den Vordergrund; schon werden auch wieder rechte Parteien gewählt.

Glauben Sie, daß der Aufschwung der rechten Parteien Auswirkungen auf die anstehenden Kommunalwahlen in Berlin haben wird? Die »Republikaner« treten in allen 23 Bezirken an.

Die Bedingungen sind optimal und sogar besser als in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein. Es gibt schon qualifizierte Gerüchte über unveröffentlichte Senatsumfragen, die ein Erstarken der Reps vermuten lassen. Wir haben in Berlin eine Große Koalition und eine relativ unpolarisierte und unpolitisierte Situation. Beides sind gute Grundlagen für Rechtsextremismus. Es gibt keine Sach- oder Streitfragen, kein Profil der Regierung, so gut wie keine Opposition. Auch die Verdrossenheit der Wähler über die großen Parteien ist in Berlin höher als im Bundesdurchschnittt. Alles läßt vermuten, daß zumindest die Reps die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.

Nun will die CDU dem möglicherweise mit dem Wahlkampfthema Asyl begegnen.

Einen größeren Gefallen können sie den Reps gar nicht tun. In Frankfurt haben sie es mit dieser Methode sogar geschafft, die NPD, die sonst überall tot ist, wieder in den Römer zu hieven. Alle Länder haben es mit demselben Ergebnis nachgemacht. Warum soll denn der Wähler die Kopie wählen, wenn er das Original haben kann?

Warum verdichten sich die Konflikte der Bürger immer wieder in der Asylfrage?

Nach allen Umfragen geht es den Wählern rechtsextremer Parteien in erster Linie um soziale Probleme. Mietenpolitik, Verkehrspolitik, Arbeitsmarktpolitik. Asyl ist wie ein Label für einen Topf, in dem ganz viel drin ist. Die Asylproblematik oder die angebliche Kriminalität von Ausländern sind innerhalb dieses Topfes nur ein Bestandteil. Statt dessen steht Asyl für einen Berg von Problemen bis hin zur EG. Das haben wir in Baden-Württemberg bei den Wahlerfolgen der Reps im Neckarraum sehr deutlich gesehen. Die Weinbauern fühlen sich bedroht durch die EG und den gemeinsamen Agrarmarkt und wählen rechts. Auch das läuft unter dem Code Asyl.

Rechnen Sie damit, daß rechtsextreme Parteien auch im Ostteil in die Parlamente einziehen werden?

Das ist die große Frage. Ich vermute, daß der Schwerpunkt im Westen liegen wird. Das rechtsextreme Potential ist zwar im Ostteil wesentlich größer, aber die Affinität zu rechtsextremen Parteien ist sehr viel geringer. Unsere Umfragen haben ergeben, daß 17 Prozent im Ostteil gegenüber acht Prozent im Westteil rechtsextrem eingestellt sind. Dafür ist die Bereitschaft, eine rechte Partei zu wählen, im Ostteil sehr viel niedriger. Dort ist der Rechtsextremismus eher subkulturell als organisiert.

Worauf führen Sie das zurück?

Es gibt da nur Vermutungen. Ein wesentlicher Grund ist sicher, daß es im Ostteil noch nicht gelungen ist, eine eigene rechte Organisation aufzubauen. Bisher gibt es nur Westimporte. Und es gab immer Konflikte, wenn selbsternannte Führer aus dem Westen oder Österreich sozusagen den Neurechten erklären wollten, wie man ordentlich nationale Politik macht. Die Leute dort haben die Nase voll von Führungsfiguren.

Wird sich nicht auch in den fünf neuen Ländern eine vergleichbare Organisation der Rechten entwickeln wie im Altbundesgebiet?

Im Augenblick scheint es so zu sein, daß der Bedarf gar nicht da ist. Die Überlegung, ihr Anliegen in die politische Waagschale zu werfen, gibt es noch nicht. Der Protest äußert sich in Aktionen und Gewalttaten. Das kann sich natürlich ändern. Aber Personen wie Gerhard Frey (lacht), haben Sie den mal reden gehört? Das kann der im Ostteil nicht machen. Gäbe es jemanden, der den Ossis glaubwürdig die Ideen verkauft, wäre möglicherweise alles anders.

Laut Ihrer Studie neigen gerade Arbeiter, Arbeitslose, Teil- und Kurzarbeiter zu extrem rechten Positionen. Das spricht doch für einen Wahlerfolg auch im Ostteil, gerade in den sozialen Brennpunkten.

Bisher reagieren die Leute dort eher so, wie die Konservativen sich das wünschen und wählen die CDU oder gehen eben nicht wählen. Ich denke, daß etwa ein Drittel gar nicht wählt.

Wie groß ist denn die Gefahr rechtsextremen Potentials, das sich nicht politisch artikuliert?

Die Gefahr geht doch nicht los, wenn sie im Parlament sitzen. Rechtsextreme Aktivitäten wie Übergriffe und Gewalt äußern sich ja nicht typischerweise in parlamentarischen Aktivitäten. Was haben denn die Reps im Abgeordnetenhaus gemacht? Die waren doch alles andere als gefährlich. Le Pen in Frankreich hat einen Großteil des militanten Potentials integriert; heute verbietet er denen, auf den Putz zu hauen, weil das seiner parlamentarischen Karriere schadet. Parlamentarismus — das wissen wir aus der Grünen-Diskussion — wirkt im Gegenteil sehr integrativ.

Können Sie sich in absehbarer Zeit eine einheitliche rechtsextreme Partei in Deutschland vorstellen?

Das ist schwierig. Es gibt große ideologische Unterschiede. Viele Rechte, gerade militante, in den neuen Ländern ordnen sich selber links ein, weil sie in erster Linie soziale Probleme haben. Im Westen sortieren sich die Rechten rechts ein; da gehören sie auch hin. Außerdem ist es schwer, inhaltliche Schneisen zu schlagen. Im Ostteil erkennen viele die Oder-Neiße-Linie an. Im Westen sagt fast jeder Rechtsextreme, daß die Vereinigung noch nicht erledigt ist, weil der dritte Teil im Osten noch fehlt. Dem Kampf um die nationale Frage stimmen viele in den neuen Ländern gar nicht zu. Bei uns wird diskutiert, was mit Südtirol ist. Ist Südtirol deutsch? Das interessiert die doch gar nicht. Ich schätze, bis zu einer einheitlichen Partei wird es noch dauern. Wahrscheinlicher ist das Entstehen einer eigenständigen Partei in den neuen Ländern. Interview: Jeannette Goddar