Dachau, Los Angeles

■ Das Sputnik zeigt zwei Filme zu »Entartete Kunst«: »Verbotene Klänge — Musik unterm Hakenkreuz« und »Farben 1939«

Auf dem Plakat zur Ausstellung Entartete Musik, die 1938 in Düsseldorf gezeigt wurde, sieht man die Bilderbuchgrafik eines Negers mit Wulstlippen und Saxophon, an dessen Revers ein Judenstern prangt. Dahinter der Scherenschnitt eines Profils mit Hakennase. Die Allianz zwischen Juden und Schwarzen, auf die damit warnend angespielt wurde, war ein Jahr zuvor auch schon Thema des ersten Tonfilms überhaupt gewesen: The Jazz Singer (USA 1937) zeigte den New Yorker Sohn eines jüdischen Kantors, der eine weltliche Karriere als Broadway-Star einschlug, das Gesicht mit Schuhcreme schwarz gefärbt.

In Verbotene Klänge — Musik unter dem Hakenkreuz (1990) verfolgen die Berliner Filmemacher Norbert Bunge und Christine Fischer- Dufoy die verschlungenen Lebenslinien deutscher Komponisten, Musikwissenschaftler und Virtuosen in die Emigration. Wieder und wieder landen sie dabei in Los Angeles, filmen schwarze Frauen in China Town, die Einkaufstüten über die Straßen schleppen, Rapper beim Kaugummikauen und die Emigranten beim Kauf der Tageszeitung in der nun zur Heimat gewordenen Fremde. Das soll wohl so wirken, als hätten die Schwarzen in Los Angeles irgend etwas mit der Zwölftonmusik zu tun, für die Komponisten wie Ernst Krenek des Landes verwiesen wurden. Für Krenek bestand die Verbindung zwischen Juden/Schwarzen und der Moderne allerdings auch: Die Hauptfigur seiner Oper Jonny spielt auf, schon in den zwanziger Jahren Ziel heftiger Angriffe von rechts, war ein um seine Freiheit ringender Schwarzer.

Wien — Dachau — Buchenwald — Manila — Paris — Los Angeles — in den Interviews (von denen nur die Antworten zu hören sind) geht es um den Zusammenhang von Musik und Überleben: um die Haydn-Quartette im Konzentrationslager Westerbork, die Lieder, die von den zur Deportation bestimmten noch am Abend vorher gelernt wurden; die Synagogen, die heimlich zu Konzertsälen wurden; die Aufführungen von Guiseppe Verdi, Giacchomo Puccini, Ferdinand Meyerhold und Felix Mendelssohn-Bartholdy im Jüdischen Kulturbund, dessen zwiespältige Rolle auch hier wieder zutage tritt.

Auch von Wilhelm Furtwängler ist die Rede, dem Dirigenten, der hierbleiben wollte, weil »jemand von den Erstklassigen doch dableiben muß, um die Kultur in Deutschland zu retten«. Brechts Warnung, die Musik sei keine »Arche, auf der man die Sintflut überdauern kann«, hört man zu Nazi-Filmaufnahmen, die Furtwängler beim Dirigieren von Kraft-durch-Freude-Konzerten in Fabriken, bei Festspielen zum Geburtstag des »Führers«, oder dem Zu-Tode-Reiten einer Bruckner- Symphonie zeigen.

Was genau es an der modernen Musik war, das die Nazis so haßten, analysiert der Film allerdings nicht. Er interessiert sich hauptsächlich dafür, wer die Musik gemacht hat — ein ins »Positive« gewendeter Gegenreflex zur Judenverdammung der Nazis, der das Material nicht wirklich sichtet. Hängt die Wut der Nazis auf die »Entartete Kunst« damit zusammen, daß die atonale Musik mit der konkreten »Materialität« von Musik, mit Harmonik, Kontrapunkt, et cetera konfrontiert, statt diese zu verschleiern und in ein System zu fügen? Daß, wie Adorno meinte, die Dissonanz, das Unharmonische, »die Male der Zerrüttung das Echtheitssiegel der Moderne« sind?

Farben 1939, der im Anschluß gezeigt wird, geht auf einen sensationellen Dachbodenfund aus neuester Zeit zurück. Dabei fiel dem Münchner Filmemacher Alexander van Dülmen 16 mm Kodachromefarbfilmmaterial eines Amateurfilmers in die Hände, der am »Tag der Deutschen Kunst« 1939 in München den Aufmarsch der Reichsspitzen, vor allem aber den großen traditionellen Straßenzug gefilmt hat.

Van Dülmen hat, um die erstaunlich kräftig und klar wirkenden Farben schärfer zu kontrastieren, einen Schwarzweiß-Vorspann in denselben Münchner Straßen gedreht, denen die Choreographie des Festtagszuges damals folgte. Dadurch ist sein Fasziniertsein nicht nur von der Qualität der Farben, sondern auch von den blitzenden Stiefeln, den riesigen goldenen Reichsadlern, den artigen Sennerinnen mit den silbernen Sandalen, den rotberockten Kammerzofen, Reitersknappen, Rittern und Bauersmädeln offensichtlich, die so prächtig gegen die farblosen Gegenwartspassanten abstechen. Das Interesse der meist ruhigen Kamerafahrten gilt dabei vor allem der Stadt München, die bleibt, was sie ist, egal welche Regierungen und Zeitläufte durch sie hindurchziehen.

Interessant an der Montage vor allem, daß man einmal die Vorbereitungen eines Massenaufzugs beobachten kann, den man sonst immer nur als blockartig-perfekte, martialische Fahnenmeerformation kennt. Die Entmystifizierung, die durch nasepopelnde Offiziere, probende Tänzerinnen und schlapp hängende Fahnen erreicht wird, ist das eigentliche Novum dieses Dachkammerschatzes. Mariam Niroumand

Verbotene Klänge — Musik unter dem Hakenkreuz und Farben 1939 heute abend im Sputnik am Südstern, Hasenheide 54.