Don't marry, be happy

Überleben in der Vorstadt: Hal Hartleys „Trust“, ein Film aus Musterhäusern  ■ Von Christiane Peitz

Maria hat die High- School abgebrochen, ist 17 und schwanger. Der Vater beschimpft sie, Maria gibt ihm eine Ohrfeige, der Vater fällt tot um — der erste Streit.

Matthew baut im Akkord Computer zusammen. Billigcomputer, sie taugen nichts. Matthew macht einen Verbesserungsvorschlag, der Vorgesetzte weist ihn zurecht. Da klemmt Matthew dessen Kopf in eine Schraubzwinge und kündigt — der zweite Streit.

Matthew mit seinem Vater zu Hause. „Du wechselst Deine Jobs wie Unterwäsche.“ Matthew soll das Badezimmer saubermachen. Der Vater hockt vorm Fernseher. Matthew muß das Badezimmer noch einmal saubermachen — der dritte Streit.

Maria erzählt ihrem Freund Anthony, daß sie ein Kind von ihm bekommt. Sie will ihn heiraten. Anthony sieht seine Footballkarriere gefährdet — der vierte Streit.

Trust ist eine Folge von Streits. Zwei Menschen, selten mehr, in Großaufnahme. Schnitt und Gegenschnitt, die Kamera bewegt sich kaum. Knappe Sätze, wie Schüsse beim Duell. Maria und die Mutter, Matthew und der Vater, Maria und die Schwester, Matthew und sein Vorgesetzter, Matthew und die Mutter — ein Nahkampf folgt dem nächsten. Und dennoch ist Trust eine Liebesgeschichte. Die von Maria und Matthew.

Die beiden sind Vorstadtkinder in Lindenhurst, Long Island. Gesichtslose Straßen, Reihenhäuser, saubere Vorgärten, weiße Einbauküchen. Häuser, Autos, Badezimmer, Schrankwand, Arbeitskittel, Fernseher — fast alles ist weiß, klinisch sauber, steril. Wie soll man da leben.

Maria macht Dreck. Schnippt die Zigarettenkippe in die Kaffeetasse, kippt die Milch um, läßt den Topf fallen. Matthew läuft manchmal Amok. Betritt die Kneipe und boxt den Männern an der Bar kräftig in den Bauch. Er trägt eine Handgranate mit sich herum. Für alle Fälle, sagt er. Maria ist ein Gör. So naiv, daß sie nicht einmal weiß, wie man „naiv“ korrekt ausspricht. Matthew ist belesen. Fernseher, sagt er, sind Opium fürs Volk. Den Job im TV-Reparaturladen will er nicht annehmen: „Es gibt Dinge, die sollte man nicht reparieren.“

Maria trifft Matthew. Als er sagt, daß er nichts von ihr will, mag sie ihn. Als sie ihre Brille aufsetzt, verliebt er sich in sie: Weil sie jetzt aussieht wie eine Bibliothekarin. Sie üben Ehepaar spielen. Maria jobbt, Matthew geht in seine Firma zurück und erklärt Maria, wie man „naiv“ korrekt ausspricht. Er will Maria heiraten, sie soll ihr Baby bekommen. Ordentliche Bürger wollen sie werden.

Trust hat das Zeug zu einem schlechten Film: Spießer als Psychopathen, Eltern, die ihre Kinder quälen, Wohlstandsgesellschaft, Zivilisationskrankheiten, No future. A brave new world in konstruiertem Ambiente und künstlich-kaltem Interieur: Gedreht wurde der 700.000- Dollar-Film in noch unbewohnten zwei Musterhäusern; Regisseur Hal Hartley wuchs selbst in Long Island auf — Trust ist sein Jugendtrauma. Aber Hartley ist in seinen Stil nicht verliebt. Nicht der Inszenierung gilt seine Aufmerksamkeit, sondern den Gestalten, die sich in ihr bewegen. Nicht aus ästhetischen Gründen bleibt die Kamera bei den Großaufnahmen starr, sondern eher vor Staunen über diese seltsamen Wesen. Manchmal, ganz sachte, umrundet sie aus einiger Entfernung Maria oder Matthew, als sei sie zu schüchtern für einen Annäherungsversuch. Dann wieder karge Dialoge, Sätze wie: „Eine Familie ist wie eine Knarre. Hält man sie in die falsche Richtung, geht leicht jemand drauf.“ In seinen besten Momenten wirkt Trust, als habe Godard eine Folge der Lindenstraße gedreht. — Adrienne Shelly spielt Maria. Erst dicker Lippenstift, Lockenmähne und Stiefelchen, dann die Verwandlung zur Bibliothekarin. Seit sie Matthew kennt, putzt sie sich nicht mehr raus. Trägt ein unansehnliches Blusenkleid, plumpe Schuhe und Wollstrumpfhosen. So unattraktiv wird sie schöner. Sie steigt auf einen Mauervorsprung und läßt sich rückwärts fallen. Ohne Vorwarnung. Matthew fängt sie auf. „Jetzt du“, insistiert sie.

Ihr gefällt sein Ernst, seine Teilnahmslosigkeit. Seine plötzlichen Ausbrüche. Sie macht sich Sorgen, daß er sich jetzt beherrscht, wegen der Heirat und dem Baby, und vorm Fernseher sitzt wie all die andern Vorstädtler. Sie mochte ihn, wie er vorher war. Sie will nicht, daß die Liebe ihn verändert. Sie hat Angst, daß die Liebe die Liebe zerstört. Eine Zeitbombe.

Noch ein Streit. Klassik oder Computermusik. Er wird auf der Tonspur ausgetragen: Beethovens Fünfte und Synthesizer. Matthew kennt den Unterschied zwischen Analog- und Digitalverfahren bei Musikaufnahmen, er findet ihn faszinierend. Aber niemand interessiert sich dafür. Das berühmte Motiv aus Beethovens Fünfter Symphonie, ihr Markenzeichen, spart Hal Hartley allerdings auf. Es erklingt nur, was ihm vorausgeht: der musikalische Aufruhr, das Drängen. Das, was man nicht kennt.

Maria wird Matthew nicht heiraten. Denn was danach kommt, kennt sie schon. Ein Happy End.

Hal Hartley: Trust. Mit Adrienne Shelly, Martin Donovan, USA 1991, 93 Min.