piwik no script img

■ AUS POLNISCHER SICHTWillkommen im Osten!

Deutschland und Polen sind sich heute näher als noch vor einigen Jahren. Nicht unbedingt dank der Staatsverträge und besonderer Zuneigungsanfälle. Eher hat sich die unerhörte Diskrepanz zwischen Volkspolen und der Bundesrepublik Deutschland (klein) durch Veränderungen auf beiden Seiten drastisch verringert. Die Republik Polen ist ein Rechtsstaat geworden, unabhängig und demokratisch, ein Mitglied des Europarates, assoziiert mit der EG. Die Bundesrepublik Deutschland (groß) ist eine Mangelwirtschaft geworden, wo man von Lösungen der elementarsten sozialen Probleme so weit entfernt ist, wie in anderen osteuropäischen Ländern. Ja, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger — wie der größte Kanzler der Geschichte zu sagen pflegt — nicht Osteuropa ist mit Deutschland wiedervereinigt, sondern Deutschland hat sich in Osteuropa wiedergefunden. Auf jeden Fall betrifft das Berlin, ehemals West, heute genauso mausetot wie der ganze Osten. Das ist der eigentliche Grund, warum man die Osteuropäer nicht ertragen kann; die Hütchenspieler, die Asylanten, die Bettler, die Straßen- und Schwarzmarktverkäufer, die Kriminellen, aber auch Touristen und andere Besucher wie auch Residenten. Im alten Berlin (West) genossen sie, durch ihre Rarheit, Privilegien der Exoten, der Märtyrer, der armen Brüder. Im neuen Berlin (Pest) bedeuten sie nur noch eine zusätzliche Quelle der Abgase, weitere Tonnen von Abfall, noch höhere Mieten, noch einen Kilometer Stau, noch zehn Minuten Schlangestehen im Geschäft. Die Lebensqualität ist gesunken, die Preise sind gestiegen und die Perspektiven sind düster. Die Westler fragen sich (zu Recht), warum sie sich gewissermaßen das zweite Mal hocharbeiten müssen, die Ostler kämpfen um ein eigenes Stück des (noch) vorhandenen Wohlstands. Insgesamt ist das Leben für die einen wie für die anderen unerträglich geworden. Dabei sollte es so schön sein: »Friede, Freude, Eierkuchen« hat man sich versprochen (versprechen lassen) von der Wiedervereinigung, vom Zerfall des Totalitarismus.

Erst jetzt wird es allmählich klar: der ganze Wohlstand im Westen ist ein Produkt des Umpumpens gewesen, jetzt kommt die Rechnung. Der (kalte) Krieg ist vorbei, wir haben den totalen Frieden. Piotr Olszowka

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen