Eins ins Töpfchen, eins ins Kröpfchen

Rußlands Präsident Jelzin übersteht Attacken des Volksdeputierten-Kongresses ohne Schaden/ Bei der Abstimmung über den neuen Föderationsvertrag demonstrierten die Abgeordneten wieder Einheit  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Die Debatten des russischen Volksdeputierten-Kongresses in den letzten beiden Tagen waren so erhitzt wie strukturlos. Der konservativen Kongreßmehrheit gelang es zwar immer wieder, den Eindruck zu erwecken, sie wolle Jelzin und seiner Regierungsmannschaft ernsthaft am Zeug flicken. Doch eigentlich geschah nichts. Nur heiße Luft stieg auf im Kremlsaal. Die angedrohte Resolution des Parlamentes, die mit den Reformen der Regierung hart ins Gericht gehen wollte, wurde mehrfach zurück in den zuständigen Ausschuß verwiesen. Sie gefiel den Kritisierten nicht! Eine ziemlich absurde Situation, die zugleich die Macht- und Hilflosigkeit des höchsten russischen Gesetzgebers widerspiegelt.

Jelzin ergriff das Wort, als ihn der Kongreß zwingen wollte, innerhalb eines Monats einen Premierminister zu ernennen. Noch hat Jelzin das Präsidentenamt, den führenden Posten als Vorsitzender des Ministerrates und des Verteidigungsministeriums in Personalunion inne. Er traf genau den Ton, als er den „verehrten Volksdeputierten“ kundtat, er suche keine Konfrontation mit dem Hohen Haus. Schließlich seien sie alle vom Volk gewählt.

Der Präsident bot sogar an, den Regierungsvorsitz als Premier abzugeben. Aber nicht, wie es die Deputierten gefordert hatten, innerhalb eines Monats: „Wenn klar ist, daß die Reformen nicht rückgängig gemacht werden können, wenn die Regierung auf eigenen Füßen steht, dann werde ich selbstverständlich einen Kandidaten für das Amt vorschlagen“, sagte Jelzin und erntete das Erstaunen des Kongresses, der nicht mit einem Einschwenken des neuen Zaren gerechnet hatte.

Doch in der Sache blieb er hart: Weder die Reformen noch seine Regierungsmannschaft stehen zur Disposition. Entschiedenheit schüchtert Volksvertreter vom alten Schlage ein. Jelzin stellte sogar in Aussicht, das eine oder andere Ressort neu zu besetzen. Berücksichtigung werden dabei selbstverständlich Kandidaten aus Wirtschaft und Industrie finden. Das war im Sinne des Kongresses, der gefordert hatte, „Spezialisten“ aus ihren Reihen sollten „an der Regierung beteiligt werden“. Schon am Vorabend sickerte durch: Der Ausschuß, der sich mit der Rücknahme der Sondervollmachten des Präsidenten befaßt, werde von seiner Absicht, sie wieder rückgängig zu machen, Abstand nehmen.

Nach Jelzins taktischen Konzessionen übernahm der Vorsitzende des Parlamentes, Ruslan Chasbulatow, die Führung. Er nutzte die positive Stimmung und stellte, unerwartet für die meisten Deputierten, den neuen Föderationsvertrag, der Bestandteil einer neuen Verfassung werden soll, zur Abstimmung. 848 Abgeordnete gaben ihm ihr Plazet, nur zehn stimmten dagegen. Dank des geschickten Vorgehens konnte das Parlament Einheit demonstrieren. Patriotische Kräfte hatten an dem Entwurf kritisiert, Rußland mache zuviele Zugeständnisse gegenüber den nichtrussischen Autonomien. In einem Schlenker zu Altpräsident Gorbatschow, dem es nicht vergönnt blieb, die UdSSR zusammenzuhalten, würdigte Chasbulatow den Föderationsvertrag als Jelzins Erfolg. Rußland wird immer stark und einig bleiben, hatte Jelzin gesagt, dem mochten die Volksvertreter nicht wiedersprechen.

Noch ist der Kongreß nicht vorbei. Die vergangenen Tage haben jedoch gezeigt, mit einer alternativen Politik, die in der Bevölkerung zuspruch fände, kann dieser politisch und demographisch überaltete Kongreß nicht aufwarten. Taktische Zugeständnisse reichen aus, um die Einheitsfront der Altvorderen zu schwächen. Viel ist von diesem Kongreß nicht mehr zu erwarten. Am allerwenigsten eine Schlappe für Jelzin. Denn alle erinnern sich noch sehr genau, wie es den Deputierten des obersten Sowjets der UdSSR erging. Sie wurden einfach nach Hause geschickt und ihre Privilegien beschnitten. Das möchten die Volksvertreter, deren Mandat offiziell noch bis 1995 läuft, auf alle Fälle verhindern. Sollten sie ein neues Störfeuer eröffnen, kann der Präsident, indem er sich direkt ans Volk wendet, ihrem Schicksal schnell eine unangenehme Wendung beibringen.