Deutschstunde

■ Die Journalistin Inge Deutschkron las bei den Berliner Lektionen

Ausgeschlossene Erbschaft war der Titel der (Berliner) Lektionen. Eine Deutschstunde wollte Inge Deutschkron dem Publikum halten — und ging doch kaum über die wohl den meisten Deutschen inzwischen bekannten Versäumnisdiagnosen und Anklagepunkte hinaus: daß nach dem Zweiten Weltkrieg nicht von Null angefangen wurde, daß es eine Kontinuität zwischen damals und heute gibt. So oft diese Anklage inzwischen schon vorgetragen wurde, so wenig Handhabe bietet sie gegen das erneut aufkeimende Ressentiment.

Nachdem Conny Froboeß aus Deutschkrons autobiographischem Roman Ich trug den gelben Stern (1978) vorgelesen hatte — in ihm schildert die Autorin ihre Berliner Kindheit, die Deportation von Verwandten und Bekannten, ihre Freundschaft mit Hans Rosenthal und den verzweifelten Kampf eines Werkstattleiters, die ihm anvertrauten blinden und tauben Juden vor der Deportation zu retten — setzte die Journalistin Inge Deutschkron mit belegter Stimme zu ihrer Lektion an. Ihre Hauptthese: Es gebe eine Parallele zwischen nationalsozialistischer und bundesrepublikanischer Ausgrenzungspolitik.

Als Berichterstatterin (und Chronistin des deutsch-jüdischen Verhältnisses für die israelische Zeitung 'Maariv‘) mit der Bonner Szene vertraut, führte sie Bundestagsreden ebenso wie Gerichtsprotokolle zum Beleg dafür an: »In den bundesrepublikanischen Ministerien sitzen vermutlich mehr ehemalige NSDAP- Anhänger als zur Zeit des Dritten Reiches.« Die restriktive Asylpolitik und der zunehmende Ausländerhaß seien das logische Ergebnis der Versäumnisse nach dem Zweiten Weltkrieg: Überall, nicht nur in ihren Träumen, sähen sie noch immer die Augen der blonden KZ-Wächterin an.

Deutschkron unterstrich Sahls Satz, daß die »Mörder von gestern die Schutzheiligen der Geschichte« seien und klagte die bundesdeutschen Richter »mit dem notorischen Blick nach rechts« an, eine Bestrafung der NS-Verbrechen nach dem Maß ihrer Grausamkeit verhindert zu haben. Zu Recht wies sie daraufhin, daß man jederzeit bereit war, Sondergesetze zu erlassen, als es um die Verfolgung sogenannter Staatsfeinde, der RAF-Leute, ging. Warum also konnte man einen Nazi nicht aus Gesinnungsgründen für schuldig befinden, wie man es über den Paragraphen der Sympathisantentätigkeit mit der RAF tat?

Auch der heutige Eifer bei der Verfolgung von Stasi-Mitarbeitern sei beleidigend angesichts der Tatsache, daß man »damals« nicht halb so gründlich verfahren ist. Nur weil die Offenlegung damals nicht geleistet wurde, lege man heute so ein gesteigertes Interesse für Täter an den Tag.

Eine leise Sympathie für die Ex- DDR und ihre andere Nazi-Vergangenheitsbearbeitung schwang die ganze Zeit über bei der Autorin mit. Inge Deutschkrons Vorwürfe richteten sich in erster Linie an den westlichen Teil Deutschlands. Der Bürgermeister ihres Geburtsortes Finsterwalde habe sich bei ihr entschuldigt. Die Häuser Berlins aber blieben für sie weiterhin ohne schützende Fassaden, die Hausecken drehten sich schamvoll von ihr ab. Wieder müsse sie Angst haben, mit ihrem dunkelhäutigen Neffen durch die Straßen zu gehen. Die Aufbew-arier der jüdischen Habe von damals sieht Inge Deutschkron heute als geistige Nachlaßvollstrecker am Werk. Michaela Ott