Auch in der Kirche sind sie eigenwillig

■ Berlin erwartet erstmals wieder Hugenotten aus Ost und West zum 37. Deutschen Hugenottentag/ Nach dem Toleranzedikt des Großen Kurfürsten 1685 kamen 20.000 Hugenotten nach Preußen

Berlin. In Altlandsberg, einer kleinen Gemeinde am östlichen Stadtrand von Berlin, erinnert heute kaum noch etwas an die französischen Flüchtlinge, die hier um 1670 ein neues Leben begannen. Die Hugenotten, wie sich die calvinistischen Protestanten nannten, die im katholischen Frankreich ihres Glaubens wegen verfolgt wurden, sahen keine andere Möglichkeit, als unter großen Gefahren ihr Land zu verlassen und anderswo um Asyl zu bitten.

Toleranzedikt des Großen Kurfürsten im Jahr 1685

Tausende folgten ihnen in die Fremde. Nach Holland, England, Dänemark und die Schweiz. Vor allem aber nach Brandenburg-Preußen flohen die »Refugies« in den nachfolgenden Jahren. Brandenburgs Kurfürst Friedrich Wilhelm hieß die »Glaubensflüchtlinge« nicht nur willkommen, sondern verschaffte ihnen auch Rechte und Privilegien. Im Edikt zu Potsdam erklärte der Große Kurfürst die Refugies am 29. Oktober 1685 zu gleichberechtigten Bürgern in Brandenburg-Preußen. Zudem mahnte der Kurfürst die Einheimischen zur Toleranz gegenüber den Flüchtlingen.

Der kurfürstliche Gnadenerweis für die neuen Untertanen zahlte sich schnell aus: zwanzigtausend Hugenotten, die ins Land gekommen waren, verhalfen Brandenburg-Preußen zu wirtschaftlicher Blüte und machten aus dem vom Dreißigjährigen Krieg gebeutelten Land binnen kurzem ein Zentrum der Wissenschaft und Kultur im damaligen Europa. Konflikte und Spannungen zwischen Preußen und Franzosen gab es dennoch mehr als genug. Die vom Hof protegierten Flüchtlinge hatten vor allem mit ihren preußischen Glaubensgeschwistern Schwierigkeiten. Lutherische Pastoren beispielsweise riefen zum offenen Widerstand gegen die Reformierten aus Frankreich auf. Anberaumte Kollekten zur Unterstützung der Flüchtlinge wurden von ihnen boykottiert. Indes nahmen die Mitglieder des kurfürstlichen Hofes, Staatsminister und hohe Generäle an den Gottesdiensten der französischen Gemeinde in Berlin teil, die bereits 1672 gegründet worden war.

Auf Veranlassung des Kurfürsten erhielten die Refugies 1701 schließlich ihr erstes eigenes Kirchengebäude: die Friedrichstadtkirche, den im heutigen Ostberliner Zentrum gelegenen Französischen Dom am Gendarmenmarkt. »Auf daß er immer der französischen Kolonie gehören möge«, sagte der Kurfürst bei der feierlichen Einweihung.

Fast dreihundert Jahre später treffen sich hier Nachfahren der Refugies zu ihrem 37. Deutschen Hugenottentag. Organisiert wird er vom Hugenottenverein, der allein in West-Berlin etwa sechzig Mitglieder hat. Hauptthema des Treffens, das nach einundzwanzig Jahren zum erstenmal wieder in Berlin stattfindet, ist das »Hugenottentum und die Toleranzidee«.

Erstes Treffen nach fast 300 Jahren

Die »Französische Kirche zu Berlin«, seit knapp einem Jahr wieder vereinigt, wird die Tagung begleiten, die Räume stellen und über die Situation der Hugenottenkirche in der neuen deutschen Hauptstadt informieren. Rund tausendsiebenhundert Protestanten zählen zur Gemeinde, von denen etwa zweihundert im Ostteil der Stadt leben. Für sie war der Französische Dom bis zur Maueröffnung das kirchliche Zentrum, während die Westgemeinde ein Zentrum im Stadtbezirk Wilmersdorf nutzte.

Reformierte verteilen keine Fragebögen

Aus der einst so berühmten französischen Kolonie mit ihren bekannten Predigern, Philosophen und Schriftstellern ist eine kleine Schar geworden. Die Gemeinde ist Teil der Reformierten Kirche in der Berlin- Brandenburger Kirche, in deren Bereich es außer in der Hauptstadt auch in Groß-Ziethen, Bergholz und Potsdam kleine französische Gemeinden gibt, sich bis heute aber ihre Selbständigkeit innerhalb der Landeskirche erhalten haben. Als sogenannte Personalgemeinden sind sie zum Beispiel an das nunmehr auch in Ostdeutschland bestehende Kirchensteuersystem nicht angeschlossen, sondern entscheiden eigenverantwortlich über ihre Finanzen. Einen Sonderweg geht die Hugenottenkirche gemeinsam mit den übrigen Reformierten auch in der Frage der Aufarbeitung möglicher Stasi-Verstrickungen ihrer Mitglieder. »Wir lehnen die von der Landeskirche praktizierte Fragebogenaktion ab«, erklärt Pastorin Horsta Krum. Denn: »Als Reformierte sind wir der Meinung, daß dies Angelegenheit der jeweiligen Gemeinden beziehungsweise unseres Consistoriums ist.«

Toleranz üben gegenüber Andersdenkenden, Andershandelnden und Andersgläubigen ist nach wie vor ein Schwerpunkt der Arbeit in der französischen Gemeinde. Doch es sei kein leichter Weg, die Nachfahren der Refugies davon zu überzeugen, daß zum Beispiel Flüchtlige, die heute in die Stadt kommen und Schutz suchen, Hilfe und Toleranz brauchen. Festhalten an ihrem reformierten Erbe will die kleine Hugenottenkirche auch in Zukunft. Das heißt für ihre Mitglieder unter anderem Besinnung auf die Bibel, Ablehnung der Hierarchie in der Kirche und die Verpflichtung, »diese Welt zum Guten zu verändern«. Monika Hermann (epd)